Sonntag, 3. März 2013

Vor fast 15 Jahren (Spex 216 revisited)

Vor einigen Wochen fragte ein Facebook Freund nach Glam Rock in Deutschland. Gab es da was? - Schweigen. Tatsächlich war Glam eines der vielen importierten Pop-Phänomene. Aus einer Pressevorführung von Todd Haynes "Velvet Goldmine" erwuchs 1998 die Idee eines Spex Specials. Ich erinnere mich an die Begeisterung, die ich vor allem mit Kurt Kreikenbom teilte. Ein kleiner gemeinsamer Text mit Dechiffrierungshinweisen zu Haynes System der Anspielungen, sowie ein leider nicht mal grandios verklungener Glam Abend im Blue Shell waren Früchte jener Begeisterung. Was mich selbst darüberhinaus dazu brachte, die Frage nach Glam in Deutschland zu stellen, weiß ich nicht mehr genau, aber er führte zu einem der sinnvolleren Vorhaben meines popjournalistischen Tuns: Einige Telefonate, Treffen, Recherchearbeit eben, um eine kleine, kaum wirklich greifbare Geschichte aufzuschreiben. Ich habe über die Jahre öfters an den Text gedacht, nicht zuletzt wegen der Begegnung mit Klaus Dinger. Heute erscheint mir der Text zum Teil als eine vertane Chance. Es auf die Begrenzung der Zeichenzahl zu schieben, wäre nicht ganz richtig. Vielleicht war es der Versuch, meinen persönlichen Hippie Flirt der vorhergehenden 12 Jahre abzuschütteln oder nur ein didaktischer Trick um Grenzen aufzuzeigen, doch es stören mich heute Begriffe und Wertungen. Andererseits bleibt der Text eben ein kleiner Einblick in eine Zeit, welche zu wutschnaubenden Leserbriefen in der SOUNDS führte und die einen Wandel ankündigte, dessen Revival in den 90ern dann doch etwas trist ausfiel. Gerade posiert auf dem H&M Poster ein Mädchen mit Tammy Wynette Frisur, trashigem Nietenjackett und E-Gitarre. Es geht wieder los. Also, vielleicht als Anlass zu weiterer Recherche oder einfach nur so:

A GERMAN GLITZER-GESCHICHTE

ALLES HALBSTARKE

Vor einigen Wochen sah ich im Fernsehen Ausschnitte aus einer Wochenschau von 1958. Elvis, der suspekte amerikanische Jugendverführer, musste gerade seinen Gl-Dienst in Deutschland ableisten und wurde offensichtlich direkt nach seiner Ankunft zu einem Rock 'n'Roll- Nachwuchswettbewerb geschleppt. Der zynische Kommentar des Sprechers mündet in eine an Elvis gerichtete Weisheit: »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.«

Was mich an den Bildern dieses Wettbewerbs faszinierte, war nicht, daß es eine musikalische Reaktion auf Rock 'n'Roll in Deutschland gab, sondern, wie dieser wilde Lärm, der nur noch vom radebrechenden Englisch des jeweiligen Sängers übertönt wurde, explodierte, und dabei in keiner Relation selbst zu den gelungensten Aufnahmen heimischer Rock'n'Roller wie Ted Herold oder Jeff Jackson [Paul Würges] stand. Der Lärm fand seine Entsprechung eher in den Ausschreitungen, die zwischen '56 und '58 regelmäßig im Anschluß an Rock'n'Roll- Filmvorführungen in diversen Großstädten stattfanden. Diese betont männliche Kultur der »Halbstarken« stellte keinen politischen Anspruch, der dem existentialistischer Studentencafés vergleichbar gewesen wäre, sie forderte nur: »Wir wollen Rock'n'Roll!«

Während die späteren Glam-Protagonisten sich noch in einer Lebensphase irgendwo zwischen Kinderwagen und Grundschule befanden, verloren fast zeitgleich mit der legendären ersten Rock'n'Roll-Krise die Befreiungsversuche der »Halbstarken« aus dem Nachkriegsmief an Bedeutung. Einzelne begründeten noch die Motorrad-und-Lederkombi-Rockerkultur, die meisten aber wurden einfach erwachsen und verschwanden spurlos in der Arbeitswelt des Wirtschaftswunders.

KEINE MODS, LAUTER HIPPIES

Da Merseybeat und British Invasion gegen Mitte der Sechziger hierzulande keine nennenswerte Mod-Bewegung hervorbrachten, hieß die nächste relevante Jugend beziehungsweise Protestkultur Hippie. Was da in der zweiten Hälfte der Sechziger als freudig-rebellische Selbsterfahrungs-Partykultur startete, versackte später entweder in politischem Dogmatismus oder gruppentherapeutischem Diskussionszwang, Inhaltismus oder Esoterik. Im Zeichen der Woodstock-Schlammschlacht erschien Stil als obsolet, und all die grausigen Hippie-Klischees begannen sich durchzusetzen, die später in der Friedensbewegung oder in den Pädagogischen Fakultäten ihren endgültigen Tiefpunkt fanden. Derweil etablierten sich Hippies recht schnell auch als Radioredakteure und schufen mit SOUNDS die erste deutsche Zeitung für populäre Musik, die sich nicht an ein Teenie-Publikum wandte. Für die Musikbewertung galt fortan die Formel: kommerziell = anspruchslos. Diesen Bruch mit den Teeniewerten begrenzt auch heute noch (beziehungsweise wieder) das Urteil vieler, egal ob Indie-Klientel oder Elektro-Avantgarde-Fan.

Zu Beginn der Siebziger hießen die Wahlmöglichkeiten für den jungen Hippie, der von den coolen Älteren, die zwei Jahrgangstufen über ihm waren und auf dem Schulhof das Sagen hatten, beachtet und akzeptiert werden wollte: Progressive oder ein Mix aus Westcoast- und Southern-Rock. Natürlich ging auch beides durcheinander, aber wichtig war: Hier spielten versierte, sprich: ernsthafte Musiker Stücke, die schon allein durch ihre Länge völlig unkommerziell waren. Ich bin mir nicht sicher, ob den Schulhofkönigen jemals in den Sinn kam, irgendwer könnte sich über so ein tiefempfunden stimmiges Weltbild hinwegsetzen.

Als 1972 der geschminkte Alice Cooper mit seiner Horror-Hardrockshow auch den ein oder anderen seriösen SOUNDS-Mitarbeiter zu begeistern vermochte, war das noch kein wirkliches Indiz für einen Paradigmenwechsel, denn in den einschlägigen Artikeln wurde vor allem Coopers Showmanship belobigt. Immerhin verärgerte man so Yes- und Gentle Giant-Fans. Aber niemand dachte daran, denen auch noch das neueste Ding aus England vorzusetzen und so mussten andere, zunächst sehr wenige, kommen, die David Bowie und Roxy Music den Weg in deutsche Städte bereiteten

Daß Glam hier überhaupt stattfand, ist von mehr als nur anekdotischem Interesse. In der Zusammenschau mit »Velvet Goldmine« geht einem auf, wieso: da sieht man den künftigen Glitzer-Rock-Star als den coolsten Mod des Schulhofs. Auch die ersten britischen Hippies rekrutierten sich aus Mod-Kreisen: Die Idee, aus einem Stil ganze Identitäten zu konstruieren, war also tief verwurzelt im Bewußtsein einer ganzen Generation. Diese Mod- Szene fehlte nun aber, wie gesagt, hierzulande fast völlig, eine entsprechende Genealogie ist also nicht übertragbar. Die Leute, die hier circa 1972 mit Glam in Verbindung kamen, hatten möglicherweise Velvet Underground, Captain Beefheart oder Alice Cooper gehört; vielleicht störte sie auch nur der allgemeine Hippie-Konsens.

ROCKY HORROR HAMBURG SHOW

Den älteren Hippie-Bruder ärgern zu können, war ein willkommener Nebeneffekt für einen der drei Hamburger Gymnasiasten, die unter den ersten waren, denen die von David Bowie und Roxy Music eröffneten Möglichkeiten aufgingen. Der leider zu früh verstorbene Stefan Ohrt hatte Bowie schon vor dem "Ziggy Stardust"-Durchbruch für sich entdeckt und bildete zusammen mit Nicola Reidenbach und Sven Kirsten eine dieser seltsamen Zufallsgemeinschaften von Menschen, die im rechten Moment zueinanderfinden. Glam funktionierte in Hamburg auch dank der Nähe zu London: Platten, Informationen und Kleidung wurden von der Kings Road nach HH geschleppt. Andere Accessoires konnte man in einem Rockerladen, der bereits seit den Sechzigern auf dem Kiez existierte, besorgen. Lustiger- und gar nicht mal unpassender weise sahen die Rocker in den androgyn gestylten Menschen Geistesverwandte, mit denen man eine Abneigung gegen Kifferhippies teilte. Mit ihrer Idee von Rockerästhetik zielte die ganz junge Suzi Quatro genau auf diese Schnittmenge.

Ein weiterer Faktor sprach für Hamburg als Schauplatz: Die Reeperbahn garantierte für einen Sexmarkt, dessen Möglichkeiten scheinbar weniger im Widerspruch mit der in Glam angelegten Auflösung von Gender-Identitäten stand, als die durchschnittliche Hippiemoral. Dabei berührten sich Glam und das Reeperbahnambiente nur in einem historischen Moment: dem einzigen Livegig der New York Dolls in der BRD. Neben einem Fernsehauftritt im Musikladem (man erinnere sich an Manfred Sexauer und die Nummerngirls) spielten sie im Salambo, dem einstigen Star-Club,der nun für harte Hetero- sowie Schwulen-Sexshows stand. Auf dem Backcover der zweiten New-York-Dolls-LP sieht man die Band just vor diesem Laden posen. Abseits der Reeperbahn existierte ein Club namens Fucktory, in dem auch Glam-Rock aufgelegt wurde und der ansonsten seinem Namen alle Ehre machte. Was auch immer dort wirklich stattfand, öffentlicher Sex oder gar schwarze Messen, wie es die Lokalpresse unterstellte, es reichte jedenfalls für die Polizei aus, den Club eines Tages ein für allemal dichtzumachen.

Was in »Velvet Goldmine« der Figur des Journalisten in seinen Teenagertagen bei der Selbstfindung half,forderte für andere erstmal nur den Mut zur Pose: Junge Männer bemühten sich plötzlich um ein Bi-Image, das - wenn schon nicht zur Befreiung des Selbst - doch zum Bruch mit dem tendenziös machoistischen Hippiegehabe und zum Spießerärgern in der Straßenbahn taugte. Es mögen in ganz Hamburg ungefähr zehn Leute gewesen sein, die schnell genug reagiert hatten und nun den Spaß haben konnten, auf Parties von Hippies aus bildungsbürgerlichem Elternhaus solange die allgemeinen Gespräche zu boykottieren, bis sie als Faschisten beschimpft wurden. So hatte man auch gleich den Vorwand, den Hausrat ein wenig zu demolieren. Hier kehrte das Halbstarkenethos als Alternative zum Ausdiskutierzwang zurück. Neben dem zur gleichen Zeit stattfindenden ersten Rock' n'Roll- Revival setzte man so Zeichen für das, was mit Punk und danach kommen sollte: Das zu Negierende fand sich nicht in erster Linie bei der Generation der Eltern, sondern mindestens im gleichen Maße auch in der Kultur der älteren Geschwister. Die Argumentation wurde dabei sowohl unnachgiebiger wie strategischer.


Daß die Hippies bei der Hamburger SOUNDS-Redaktion auch nichts kapierten, half fürs erste, den immer wichtiger werdenden hippen Vorsprung zu halten. Was sich gleichzeitig in den Charts anbahnte, interessierte dabei nur wenig. Es leuchtet in mancher Hinsicht völlig ein, aber die Ablehnung aller aufkommenden Teenieversionen von Glam (mit Ausnahme von T. Rex) wiederholte leider auch das Anspruch-versus-Trash-Klischee der SOUNDS. Nicola Reidenbach und Sven Kirsten stutzen beide schon bei der Erwähnung des Begriffes Glam-Rock: »Glam, das waren doch The Sweet oder Slade, damit hatte ich nix am Hut.« Andererseits konnte man nun auch spaßeshalber wieder Bravo lesen, denn alles was dem »großen Sinn« (für den eben Hippies standen) ein Schnippchen schlug, war nützlich.


LA DÜSSELDORF, MUNICH


Weiter südlich, in Düsseldorf, spielten Kraftwerk und Neu! schon den Soundtrack für Bowies und Enos Post- Glam-Phase. Die dortige Szene zwischen Kunsthochschule und aufkommender Werbewirtschaft war ein starkes Gegengewicht zum Hippie-Konsens, Das Schaffen von Klaus Dinger (Ex-Kraftwerk, -Neu!, -La Düsseldorf und heute La!Neu?) besitzt dabei einige Gemeinsamkeiten mit Glam. »Ziggy Stardust traf für mich recht gut den Geist der Zeit« erzählt er, um eine Ecke seines eigenen Paralleluniversums zu beschreiben. Hier wie dort wurde bewußt Pop Art interpretiert, und im Unterschied zur (rückwärtsweisenden) Entdeckung des Zitats bei Roxy Music und Bowie erschloß Dinger (vorausdeutend) neue Technologien, um sie für eine eigene Ästhetik zu verwenden. Wenige Jahre später war Düsseldorf dann Schauplatz der ersten deutschen Punkszene.


Noch weiter südlich wurde Glam emphatischer rezipiert und zelebriert als anderswo. Ingeborg Schober erzählt, daß die ersten gestylten Menschen 1972 beim Queen-Konzert in München auftauchten. Als ein Jahr darauf Roxy Music das heutige Volkstheater beehrten, glich die Szenerie keineswegs den bemitleidenswerten Bildern von einem deutschen Roxy-Publlkum im letzten Whirpool-Video. Viele waren geschminkt, hatten die langen Haare abgeschnitten und gefärbt, trugen enge, hochgekrempelte Hosen, hohe Stiefel mit oder ohne Plateausohlen und silberne Bolerojäckchen. Nicht nur für einen Ex-Amon Düül- und Embryo-Musiker wie Jörg Evers war das ein willkommener Anlass, dem Hippiekommunen-Diktat zu entkommen. München tat sich nicht schwer mit dem Wandel, stellte die Stadt doch schon seit Mitte der Sechziger ihren Anspruch als flexible Modestadt unter Beweis. Hier antworteten ansässige junge Modemacher schnell auf das neuerwachte Bedürfnis nach Style und ersetzten so die fehlende geographische Anbindung an London oder Amsterdam. Wenn das silberbejackte Glitzerpublikum dann zwei Jahre später einem Bryan Ferry im weißen Tuxedo gegenüberstand, zeigte sich dabei auch ein amüsanter Zeitverzögerungseffekt.


Immerhin: Das Tiffany, vorher zum Live-Club abgestiegen, fungierte wieder als Disco, wo nun Glam und Philly-Sound zusammenklangen. Dazu tanzte die Szene um die Filmhochschule (Cleo Kretschmer etwa war überzeugter Roxy-Music-Fan), und in irgendwelchen Ecken wurde der »Sound of Munich« vorbereitet. Noch deutlicher reagierten einige Musiker um Jörg Evers: Anfang 1974 veröffentlichten sie als 18 Karat Gold mit »All-Bumm« die erste und einzige deutsche Glam-Rock- LP (sieht man mal von einigen Glam-Spuren bei Can und Kraan ab). Zu dieser Zeit war dann auch SOUNDS bereit, diese Platte als Alternative zum Krautrockverdruß anzupreisen. Bis dahin waren der »England-Korrespondent« Duncan Fallowell und Ingeborg Schober mit ihren Vorlieben allein auf weiter Flur gewesen. Besonders Frauen meldeten sich laut Ingeborg Schober auf Ihre hart erkämpften Artikel und Radiosendungen hin. Einerseits berührte das Konzept der Androgynität vor allem die männliche Sexualität, denn außer Suzi Ouatro mangelte es an weiblichen Glam-Rock-Figuren (was im schlimmsten Fall nur alte Rollenmodelle verfestigte). Andererseits bot Marc Bolan für viele Mädchen eine faire Alternative zu Led Zeppelins Jungsmusik mit Machoposen und befreite Frauen vom Wollpulloverdiktat,
 

STARDUST

Zweifelsöhne war Glam eine Laune, mußte eine Laune sein. Dort, wo es glitzerte, wechselten die Identitäten und Moden natürlich kontinuierlich und ließen genug Platz für einen Pragmatismus, der den Hippies nicht geheuer war. So passte man sich für den Besuch bei der eigentlich doch ganz netten Hippie Tante auf dem Land auch mal entsprechend an, um Konflikten oder Stil-Fragen aus: dem Weg zu gehen Die Ökos selber zeigten sich recht resistent gegen alles, was mit Glam hierzulande seinen Anfang nahm. Weder die Popper, die den Hedonismus von Glam bald in eine neoliberale Ideologie verfrachteten, noch Punk konnten ihnen wirklich viel anhaben, Sie predigten weiterhin: »sei selbstauthentisch«, hatten aber gelernt, wie man damit Geld verdient. Glam wiederum führte nicht selten zu Medien- oder Werbe-Karrieren.


Das Spiel mit Identitäten schillerte noch mal Anfang der Achtziger (siehe auch Ingeborg Schobers Beitrag im Sammelband »But I like it«, Reclam Junior), und diesmal war auch SOUNDS auf der Höhe der Zeit (sowie auf dem Weg in den Konkurs). Wie sich Ironisierung und Zitat als Strategie selbst abschafften und dann doch wieder auftauchten, wussten diese Seiten regelmäßig zu berichten, und vergaßen darüber irgendwann, wie der Soundtrack für die besseren jugendlichen Seifenopern klingen könnte.


Oliver Tepel


Danke für Informationen und Unterstützung an Ingeborg Schober, Nicola Reidenbach, Sven Kirsten, Jörg Evers, Klaus Dinger, Diedrich Diederichsen, Manfred von Papen, Petra Fuchs & Stefan Wood sowie Horst Knies.


[Erschienen in: SPEX 216 - November 1998]

1 Kommentar:

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