Samstag, 11. Mai 2019

Old Music Bimmelbahn

Sind zunehmende Verspätungen untrügliches Zeichen für das herannahende Ende? - Dann wäre dieser Blog allerdings ein geradewegs hysterischer Apologet desselben. Wo mir seit Jahren nur noch Jahresbestenlisten glücken, blieb selbst diese Routine im vergangenen Jahr aus, daß ich mich in diesem Jahr erst im Mai zurückmelde, fällt da wohl kaum mehr ins Gewicht. Ist das nicht eh der ideale Jahresbestenlistenmonat?

Im Versuch an einer Übung, die ich, dann Münchausenpirouette nennen werde, fällt mir die Begründung für das Ausbleiben einer Liste für das Jahr 2017 leicht: Mir gefiel kein Album gut genug.
Erst irgendwann im Verlauf des letzten Jahres entdeckte ich die digital-only (sagt man so?) Veröffentlichung:
Astralplane - Redevout 
Eine recht klassizistische, progrockige Musica Popular Brasileira Platte deren Retro-Gestus von der sensiblen Inspiriertheit der Band aufgefangen wird.

2018 

- kam mir das Ende dann aber zuvor, mit der Ausgabe vom 9. März 2018 beendete der NME sein Dasein. Der New Musical Express war seit 1952 Chronist der meisten aller Triumphe und Niederlagen der Musik, welche alsbald die Massen verzaubern sollte. Doch worüber gab es auch noch zu schreiben und wofür sollte man lesen? In der Zeit kann man auch eine Netflixserie über die 80er sehen und eine bestellte Pizza verspeisen. Am 23.12.1978 hockte ein introvertierter, wenn nicht gar bedrückter PiL Chef John Lydon auf einem der ersten Farbcover des NME, welches den Schriftzug debütierte, der sich meiner Generation als Logo der Zeitschrift einprägen sollte. Irgendwo in einem Vorbei und Mittendrin, in neuen Anfängen und einem nicht erahnten Füllhorn an Ideen schien die Zeit für einen Moment anzuhalten, der Zorn der letzten Jahre verstummt und einer Magie des Ungewissen gewichen. Ich weiß nicht wann es aufhörte, wann es begann, sich gemacht anzufühlen. 1986 vielleicht oder erst 1989, 1992? Irgendwann um 2008 schien mir ein neues Licht zu glimmen, eine zarte Idee zukünftiger Musik jenseits der reinen Vergangenheitsbewältigung. Wenig blieb vorerst davon, doch immerhin bot 2018 wieder einiges an interessanter Musik, manche auch von einer aufmerksamkeitserregenden Missgestimmtheit. Ich fühle mich nicht so falsch dabei, in ein Nichts herein zu flüstern, scheint doch die Musik nichts anderes zu tun. Auch wenn sie sich zum Tanz erhebt. Ich habe mich entschieden noch nicht genug zu haben. Mache mir kaum Illusionen, daß einstige Zeiten zurückkehren können, keine Straßenfeger mehr. Aber ich werde die Augen und Ohren offenhalten, das bin ich nicht zuletzt John Lydon schuldig.

Pistol Annies - Interstate Gospel
Als Crosby, Stills and Nash einer tristeren Zeit bezeugen die Drei zumindest eindrucksvoll die Kraft des Miteinanders. Das Resultat sind enorm dichte, aufrichtige und wohl durchdachte Songs.

Ana Silvera -  Oracles
Die sparsamen, mitunter an Bartoks Bearbeitung volksmusikalischer Themen erinnernden Arrangements tanzen gleich Laub im Herbst und interessieren sich nicht für eine Grenze zwischen Singer-Songwriter- oder Ernster-Musik.

Kaia Kater - Grenades
Der wahre Zauber liegt nicht in ihrem exzellenten Banjospiel, sondern in einer Ausnahmestimme, ein sanfter leicht nasaler Sopran, der stets eine Eigendynamik zu entwickeln scheint, in tiefe Töne abgleitet und von Kater mit sanfter Geste eingefangen wird.

Timo Blunck - Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?
Tatsächlich ist es der Soundtrack zu seinem gleichbetitelten Roman einer Lebenskrise. Ganz im Alleingang spielte er erstaunlich sinistre, oft americana-geprägte Songs ein, rauher, als man es von einem Steely Dan Perfektionisten vermuten mag.

Chris Dave and Drumhedz - Chris Dave and Drumhedz
Wenn Tweet in ihrem klaren Sopran „Time and space stand still“ singt, trifft einen der Moment inmitten eines rauschhaften, an die Grateful Dead erinnernden Strom von Tönen, gleich einer Offenbarung.

Artwork: Dies Caya