Donnerstag, 1. September 2011

Heute vor fünf Jahren (Spex 300 revisited)

Ich glaube, ich bin ein langsamer Mensch und gewisse Themen bleiben mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit bei mir oder sie brauchen schlichtweg ihre Zeit um einzusickern, das Denken zu verändern und rückwärts durch die Strukturen hindurch Änderungen auszuführen. Es waren ein paar aktuelle Anlässe, Fragen zum Schreiben über Musik, welche mich an den Text erinnerten doch was genau drin stand, hatte ich längst in weiten Teilen vergessen. Vielleicht zu recht. Doch ich mag auch den Gedanken an diese späte Zeit des Kölner Musikschreibens in der noch mal so viel möglich war und es in der Regel kaum jemand bemerkte. Der ungehörte Pathos erspart Handschütteln und Ohrwatschen gleichermaßen, mag man denken, aber eigentlich war es viel besser: Es war die Zeit, in welcher der Pathos gänzlich abgeschafft wurde und das "Egal" einem mit nüchterner Macht eine angenehme Bescheidenheit beibrachte. Gelernt ist diese Lektion noch nicht zur Gänze, bin halt langsam, wie erwähnt.


Manierismus in der Rockkritik

Überlange schlanke Finger schreiben gezirkelte Worte auf billiges Papier, sie umfassen den Füllfederhalter als wären ihre Knochen aus Gummi.

Alles Quatsch! - Denn als Zweifel und Perspektivverschiebungen die Rock-Kritik erfassten, saßen axelschweissige Bartträger an klappernden Schreibmaschinen.

Eine Rock Kritik, die ihre Funktion nicht darauf beschränken wollte, Sprüche eines Radio DJ's über die "neueste heisse Scheibe von" auf Papier zu bannen, hatte Literatur- wie vor allem Jazzkritik als Leitfaden. Was der US-Amerikanische Rolling Stone und bald darauf Creem dann an Stilen, Betrachtungsweisen und Positionen anbot, beschrieb den Kosmos einigermaßen flinker Ex-Studenten (was sich bis heute nicht großartig geändert hat) die überhaupt erst dank der Beatles und Bob Dylan auf die Idee kamen, daß sich eine detaillierte und ihr Sujet ernst nehmende Auseinandersetzung mit Rock Musik lohnte. Was dann möglich wurde, muß für eine kurze Zeit so geil und pubertär gewesen sein, da musste jeder gelungene Satz ein freches Grinsen beinhalten, schrieb man doch noch gegen eine Öffentlichkeit, denn die populäre Musik entsprach nicht dem kulturjournalistischen Jargon. Es war noch ein weiter Weg bis ins Feuilleton.

Die frühe avancierte Rockkritik wähnte sich inmitten eines goldenen Zeitalters. Was wartete hinter der nächsten Ecke, neue tolle Nachrichten von Dylan an die Welt, der Aufbruch nach der Psychedelischen Phase? - Doch es wartete der Tod. Das Altamont Rockfestival hinterließ eine Blutspur und öffnete den Blick in die Schattenwelt der neuen Errungenschaften. Als Langdon Winner in seinem Essay "the strange death of Rock'n'Roll" den Impuls der Beatles für eine neue US-Amerikanische Rockmusik pries und von einer Musik träumte, die alle Töne und Bilder seines Landes mit einschließen könnte, sickerte das Bild des Authentischen und der abbildenden Funktion in die Rock-Rezeption. Ideen aus Sturm und Drang, Klassik und Romantik tanzten so leidenschaftlich wie unbeholfen durcheinander, als müsste das Schreiben stets formales Zeugnis des Hippie Human-Be-Ins ablegen. Doch für das gab es im Jahr 1967 nur verzücktes Gestammel.

Greil Marcus und Lester Bangs waren wahrscheinlich von der Brutalität in Altamont weit weniger überrascht als viele Andere, doch in der Folge finden beide einen neuen Ton, eine Sprache des Verunsicherten der nicht mehr an die Funktionalität der gewohnten Realität glaubt. Der Kunsthistoriker Gustav René Hocke sah in seinem Buch "Die Welt als Labyrinth" eine derartige Situation erstmals circa 1520, interessanterweise dadurch gekennzeichnet, daß das Wort "Modern" Bedeutung erlangt. Darin liegt ein Sich-Abwenden von der in scheinbarer Sicherheit und Klarheit verwurzelten Renaissance. Er beschreibt die Sprache des Manierismus als "bewusst Anti-Klassische Ausdrucksformen". Mit Klassik kontrastiert, verdeutlicht er den Manierismus: "Die Klassik will das "Verborgene" des Mysteriums in der "Verständlichen" nur "sublimierten" Natur zur Darstellung, der Manierismus will das "Verborgene" in einer "emblematischen", in der "Idee" meist "deformierten" Natur zur Wirkung bringen", so Hocke im genannten Werk. - Das Objekt des Manierismus ist der Spiegel. Parmagianino malte seine Antlitz in einem gewölbten Spiegel, verschobene Formen, kennzeichnen das Werk. Der Zweifel an der Gültigkeit der Sichtweise, an der Unveränderlichkeit der Proportionen und eine Konzentration auf vormals unwichtige Details werden zentral, zudem beginnt der Siegeszug des Subjekts, das Ich spiegelt sich oder es spiegelt die Welt in sich. Da wären wir beim Rezensenten.

1971 begann Lester Bangs Winners Klassizismus auf den Kopf zu stellen und erkannte sich selbst im Feedback einer Freiheit, welche die Freude am Geräusch des Teenie Rocks mit den Velvets und dem Free Jazz Ornette Colemans verband, verwirklicht im Werk der Stooges. Dabei beschrieb er den Blick eines Individuums, eines unzufriedenen und zugleich zutiefst erfüllten Suchenden Menschen. Diese individualisierte Perspektive, Jahre später ein einem Text über Van Morrisons Astral Weeks zu einer bewegenden Innenwelt-Reise verdichtet, war Bangs große Neuerung. Sein "Ich" stand nicht als Ausrede für fehlendes Wissen, sondern als starke und zugleich hochverletzliche Position. Er war allein und Iggys gewundene Ballerina-Aggression sprach zu ihm.

Greil Marcus glaubte nicht an eine Klarheit, die sich aus der Beschäftigung mit historischen Fakten einstellen könnte, er glaubte an den Mythos und seine Spuren in einer Nation von (Tag-)Träumen. In seinem Buch "Mystery Train" setzt er Schlaglichter, welche den Mythos kurz erhellen und Momente preisgeben die er durchaus als kollektive Erfahrungen beschreibt. Eine Ausführliche, jedem Detail eine Bedeutung zuweisende Beschreibung des ellenlangen Intros von "Papa was a Rolling Stone" der Temptations führt er fort: "Ich kannte mehrere Leute, die am Straßenrand hielten und zitternd und abwartend dasaßen, während der Song aus den Lautsprechern kroch und die Nacht erfüllte." - Pathetischer Manierismus: Die Begegnung mit dem Song der Temptations wird zum Blick in ein Mikroskop für Empfindungen. Wenige Sekunden eines Songs blühen in seiner Beobachtung auf, als eine komplette soziale Sachverhalte beschreibende Kunst. Er war ja klug genug, die Bilder Amerikas in der Rockmusik als Mythen zu begreifen (auch eine Abkehr von Langdon Winner). Der Blick auf die "Basement Tapes", jene verstörenden Privat-Aufnahmen, die Bob Dylan und The Band 1967 entgegen aller Klänge der Zeit einspielten und die in Auszügen erst 1975 veröffentlicht wurden. "Ihre Musik war auf eine Weise gestaltet, die einen Weg zurück ins innere Amerika wies, und es funktionierte", schreibt er über die Band und zeigt, wie ein vermeintlich klassischer Ansatz, der sich auf Traditionen beruft, in eine Subjektivität führt.

Zu diesen Positionen addieren sich die von Außenseitern, etwa jene J.R. Youngs. Wie Arcimboldo Menschen als Assemblage aus Früchten und Ernteerzeugnissen portraitierte, so schrieb Young, statt Rezensionen in den bekannten formalen Techniken, Geschichten. Gut möglich, daß diese Form nicht auf ihn zurückgeht, aber er perfektioniert den Stil im Rolling Stone ab 1969. Eine ellenlange Rezension von Crosby, Stills, Nash & Youngs "Deja vu" entpuppt sich als ein Gespräch zweier hipper Bay Area Plattenverkäufer über Musik, Drogen, Kalkulation und das Ende des Hippie-Traums. Ein wütender Leserbrief fragt, wieso dieser Mist neben Langdon Winners (!) legitimer Rezension abgedruckt wurde. Der Rockhörer ist erstmal kein Freund des Manierismus, er wünscht oftmals Produktinformation und klare Wertungen.

In Deutschland bekommen Hans Keller und Ingeborg Schober entsprechende Watschen ab. Sie schreiben in der Sounds (die sich auch erst durchringen musste, neben Jazz auch Rock zu behandeln, dann aber zum wichtigsten Musik-Magazin der 70er wurde) über Glam-Rock und finden ihn gut, wie auch der schillernd selbstverliebt schreibende Yves Adrien in Paris. Dandyismus fußt auf manieristischem Zweifel und Subjektlust, sein Pop-Schauplatz war Glam und bald Punk. Da steht dann Keller als Titelheld (!) in Lederjacke auf der ersten Punk thematisierenden Sounds und zieht ein Gesicht *. Nach New York führt ihn bald die Szene um Lydia Lunch, doch dann entdeckt er dort den ganz frühen Rap, zurück in Europa fasziniert ihn Italo-Disco, es kommt zu einem legendären Spex Artikel. In einem weiteren zelebriert er sich selbst - zurecht, hatte er doch etwas zu sagen über Wandlung und wache Wahrnehmung.

Das "Ich" wurde ab Punk die zentrale Figur der Pop-Rezension. In England schreibt Paul Morley für den NME und seine an französischer Theorie, Nouvelle Vague Kino und deutschen Autorenfilm geschulte Sichtweise führt zu einer nomadischen Sprache, er schaut vorbei, findet, betrachtet feine, scharfe Kanten bei Joy Division oder Ludus und fordert bald Pop, als geschwätzige Basis für große Gesten. Den stilistischen Experimenten des frühen Morley entsprechen Harald in Hülsens Rezensionen im Musik Express voller "///" als handele es sich dabei um postmoderne Rimbaud Übersetzungen. Den Pop Morleys übertrumpft hierzulande Andreas Banaski alias Kid P. - Er beherrscht Julie Burchills Polemik und seine Subjektivität bedeutet Einblick in das Privatleben des Kid P. - eine in Wikipedia auf ihn verfasste Hymne berichtet auch von den Folgen seiner Perspektive für die kommende Popliteratur. Die übernimmt seinen Stil des bösen, indiskreten Kommentars, der Ich-Erzählung und des Glaubens an die Größe von Pop und übersieht etwas, was einem wiederum Hocke erklären kann: "Die Gefahr der Klassik ist die Erstarrung, diejenige des Manierismus die Auflösung" und weiter: "Manierismus ohne Klassik als Wiederstand wird Manieriertheit." - Tatsächlich kannte Kid P. (wie auch alle anderen hier erwähnten) ihr Sujet, sie verfügten über eine durchaus "klassische" Popbildung (Banaski schrieb später im Sinne einer Klassik, die ihr Scheitern am HipHop mit Goethe argumentiert) und waren in der Lage den Spiegel in beide Richtungen zu benutzen. Klare und deutliche Urteile verliefen nicht in subjektive Geschmäcklerei oder reines Fantum, denn jene noch so eindeutige Aussage bezog sich auf ein zweifelndes, anti-authentizistisches Denken.

Das fehlt heute dem Intro-Ich und der Irgendwie-Rezension. Wenn es schon einen Standpunkt gibt, so wird er als Sicher geglaubt und da der Einsatz so lächerlich gering ist, muss sich kein Zweifel erheben. Ein Spiel um nichts.

Der Niederländer Roel Bentz van den Berg verkörpert einen Greil Marcus geschulten pathetischen Individualismus., Sein Luxus waren Texte über einen einzigen Song seiner Wahl, die er für das NRC-Handelsblad schreiben durfte und die ähnlich der Seitenlangen frühen Rolling Stone Rezensionen, dort Raum für Detailansichten boten. Sein verdichtender Blick (der mir beispielsweise Neil Youngs "Cortez the Killer" erklärte) deutet auf ein weiteres Detail: die Aufmerksamkeit oder einfach Fähigkeit, kleine Dinge wahrzunehmen und Worte dafür zu finden. Damit könnte auch eine individualisierte Rezension einen Gewinn bringen, nur schreibt die sich nicht mal eben so runter.

Oliver Tepel

[Erschienen in Spex Nr. 300 - September 2006]

* Später stellt Hans Keller in einem Leserbrief klar, daß nicht er sondern der Sänger der Punk und Comedy Rockband Alberto y Lost Trios Paranoias der Titelheld besagter Sounds Ausgabe war.

Montag, 3. Januar 2011

Letztes Jahr - Musikliste 2010

Diesmal zeitig, nachdem ich heute bemerkt habe, daß sie eh schon seit einiger Zeit an anderem Ort im Net zu sehen sind. 2010 Jahr des Abschieds von der Geschmackssicherheit oder: Lieber Spaß als Gähnen. OK, als alleiniges Motto kann das nun für die Charts auch nicht gelten. Es gab ein paar interessante Veröffentlichungen aus unerwarteten Ecken und auch mal wieder etwas Leben zu finden, aber ich befürchte, daß es dennoch keine der Nennungen in eine Top 20 des Jahres 1980 gebracht hätte.

LP's:
1. Merle Haggard - I am what I am
Die Inspiration im Alter, entspannter als Duke Ellington, ernster als John Hartford, diesen Beiden verwandt und auf diese Weise Country-Jazz in ungehörter neuer Größe. Überraschende Einsichten in die Musik.
2. Diverse - Bangs & Works Vol. 1 (A Chicago Footwork Compilation)
Rasselndes Schweben in extrem kurzen unweltlichen Episoden. Noch nie zuvor gehört. Überraschung des Jahres in der angewandten Elektronik.
3. 7 Walkers - 7 Walkers
Überraschung des Jahres der Alten und Mittelalten: Hebt die gesamte Jam-Band Bewegung auf ein neues Niveau.
4. Warpaint - The Fool
Überraschung des Jahres der Jungen. Wie sie sich Zeit lassen, explorieren, Harmonien finden und den Ettikettierungen entkommen! Lang nicht mehr so von einer Band so begeistert.
5. Julie Slick - Julie Slick
Instrumentalmusik im Sinne der SST Platten um 1988, weitergedacht und dank dieser Bassistin von gruseligen "ismen" befreit. Progressive Überraschung des Jahres.
Singles:
1. Sade - Soldier of Love
2. Factory Floor - A wooden Box
3. Eisenfunk - Pong
4. Javiera Mena - Hasta la Verdad
5. Rox - Rocksteady
6. Noisuf-X - Deutschland braucht Bewegung
7. Cults - Go outside
8. Gil Scott-Heron - Me and the Devil
9. Lady Gaga featuring Beyoncé - Telephone
10. Cologne Tape - Render
11. Effi Briest - Long Shadow
12. Reaper - Robuste Maschine
13. Karen Elson - The Ghost who walks
14. Zinc featuring Ms. Dynamite - Wile out
15. Sweet Billy Pilgrim - Future Perfect Tense

Ach, ja der Blick zurück: Ich finde, Bat for Lashes - Daniel war schon das tollste Stück 2009 und ich kann mich kaum mehr an eines der in meinen damaligen Single Charts genannten Deep House Stücke erinnern. Dieses Jahr fehlen sie ganz - bin ich das oder ist der einstige Glanz einer Routine gewichen? ... Mal sehen, was ich von dieser Liste in den kommenden Monate revidiere und verschiebe. Komische Sache, das mit den Listen, aber irgendwie erscheinen sie mir über die vielen Jahre hinweg als eine der besten Erinnerungsquellen, zugegeben, durchaus mit Tagebuchcharakter. Und ja, der Vergleich einzelner Jahre mag auch tatsächlich Einsichten in musikalische Entwicklungen aufzeigen die über die persönlichen Werturteile hinausgehen.

Samstag, 1. Januar 2011

Teena Marie 1956 - 2010


Vor einigen Jahren durfte ich einige Zeit mit dem letzten Arrangeur der großen Zeit bei Philadelphia International, Larry Gold, ein Gespräch führen. Ich fragte ihn nach Laura Nyro, die ihr wundervolles Album "Gonna take a miracle" in den Philly Studios aufgenommen hatte. Immer noch etwas befremdet erzählte er von diesem jungen Mädchen, welches darauf bestand die Arrangements selber zu schreiben und das Orchester zu dirigieren und weit mehr Takes zu verlangen, als man dies in der Hitfabrik gewöhnlich zuliess.

In vieler Hinsicht war für mich Teena Marie die Persönlichkeit, welche all das, was Singer Songwriterinnen der Hippiezeit für sich eingefordert und geschaffen hatten, in den R&B trug. Ähnlich Kate Bush in ihrer Welt war sie die Vertreterin einer jüngeren Generation, konfrontiert mit den selben Problemen, welche Selbstbewusstsein und eine genaue Idee des eigenen künstlerischen Anspruchs in der Plattenindustrie mit sich bringen können; erst recht für eine Frau und im Falle Teena Maries muss man seltsamerweise hinzufügen: insbesondere für eine Frau weisser Hautfarbe.

Die 1956 in Santa Monica geborene Kalifornierin, Tochter portugiesischer Vorfahren, erzählte häufig in Interviews von ihrem Aufwachsen mit R&B und Soul. Sie wuchs unweit jener Ecke L.A.'s auf, die man "Venice Harlem" nannte, fand dort viele ihrer Freunde. Dafür musste sie sich, zurück im heimischen Viertel "Nigger lover" nennen lassen. Daß sie zudem einen guten Teil ihrer Kindheit und Jugend vor dem Radio verbrachte, hörte man ihrer Musik an, nicht wenige Stücke enthielten kenntnisreiche Zitate und ihre kompositorischen Finessen verwiesen nur auf die besten Lehrmeister.

Ähnlich Van Dyke Parks oder Tim Buckley begann sie im Kindesalter als Schauspielerin, und erzählte später, dort gelernt zu haben, daß man keinem Andern die eigenen Entscheidungen überlassen dürfte. Als die 20 jährige einen Vertrag mit Motown unterschrieb, ahnte ihr Label noch nicht, daß es ihr mit dieser Einsicht sehr ernst war. Es dauerte einige Zeit, bis zu ihrer ersten Veröffentlichung. Eine künstlerische Zusammenarbeit mit Rick James öffnete offenbar Türen, die ihr bis dahin verschlossen waren, da sich Black Music in Zeiten der Politisierung von Künstlern mit weisser Hautfarbe abgrenzte. So widerfuhr es ihr, wie anderswo schwarzen Rockmusikern: ihre erste LP erschien ohne ein Bild von ihr auf der Coverfront. Das extrem photogene Mädchen sollte sich hinter seinem Gesang verstecken und gelangte nahezu als trojanisches Pferd auf die Playlists schwarzer Stationen. Denn Teena Maries kräftige Stimme war die einer Soulsängerin, Blue Notes traf sie spielend, nie klang auch nur eine Phrasierung angestrengt und dies in einer Weise, die sie tatsächlich dem Popmarkt kaum vermittelbar machte. Marie hatte nur einen einzigen US-Pophit, ansonsten war sie in ihrer gesamten Karriere allein in den R&B Charts erfolgreich. Was auch heißt, daß niemand ihr oder Motown den Schachzug übel nahm. Nelson George schrieb in "The Death of Rhythm & Blues" wie viele schwarze Radiostationen sie auch zu Zeiten deutlichster Abgrenzung explizit als einzige, nicht-schwarze Künstlerin spielten.

Zwischen epischem Soul, und vor allem inspirierten Disco-Funk Tanzstücken entwickelte Marie bald eine Stilistik komplexer Arrangements, über welche ihre mal aggressive dann wieder schmachtende Stimme Akzente setzte. Auf ihrem Debüt hatte ihr Duett mit Rick James "I'm just a sucker for your love" das gößte Hitpotential und war zudem das Outing einer langen und oftmals wohl sehr dramatischen Beziehung. Auf den kommenden Platten schuf sie weitere Tanzflächenklassiker: "I need your lovin'", "Square biz", "It must be magic" oder "Behind the Groove", letzteres brachte ihre Musik nach Europa und in die britischen Top 10. Schon ihre ersten Alben wurden in den USA mit Gold ausgezeichnet und daß, ähnlich wie die Platten von Maze und Cameo, ohne einen nennenswerten Anteil weisser Käufer. Lies sie ihre zweite LP "Lady T" noch von Minnie Ripertons Witwer Richard Rudolph produzieren, entstand der Nachfolger "Irons in the fire" bereits fast vollständig in Eigenregie. Trotz des Erfolgs lag eine solche Unabhängigkeit nicht in Motowns Interesse zumal Marie sich anschickte ihre Alben als Liederzyklen zu begreifen, kunstvolle Gesamtwerke, die neben potentiellen Hits Sprachstücke und epische Explorationen beinhalteten. Als es zum Streit um Veröffentlichungen kam, zog sie vor Gericht. Das in mit ihrem bürgerlichen Namen als "The Brockert Initiative" bekannt gewordene Urteil hinderte in den folgenden Jahren auch andere Label daran, einen Künstler unter Vertrag zu halten die Veröffentlichung seiner Arbeit aber zu verweigern.

Ihre erste Platte für ihr neues Label "Epic" zeigte, was Motown zu weit gegangen sein mag, Marie experimentierte nun mit Rock und Latin und Jazz. Auf der Coverrückseite las es sich wie früher bei Laura Nyro: "Written, arranged and produced by Teena Marie". In den folgenden Jahren spielte sie mit den aktuellsten Entwicklungen der Sounds und Technik, war stets auf einer Augenhöhe mit Prince, fügte psychedelische Elemente oder komplette elektronische Passagen in ihre Musik, sowie immer häufiger sozio-politische Kommentare in ihre Texte. Alle neun Alben die sie bis 1990, inklusive des HipHop geprägten "Ivory", aufnahm sind des Hörens wert und erscheinen heute als ungehobene Schätze eines mitunter auch exzentrischen Selbstverständnisses und dem Können für große Gesten.

Marie litt am Tode Minnie Ripertons, widmete ihr Stücke, so auch in "Opus III" auf "Naked to the world". Infolge eines Bühnensturzes 1988, just zu der Zeit als "Oh la la la " sich zu ihrem einzigen Pop Hit aufmachte, endete sie für Monate im Krankenhaus. Seltsamerweise wurde es nach dem Hit zusehends stiller um sie. Allein eine Veröffentlichung auf einem Indie Label spielte sie während der 90er ein, erst 2004 gelang ihr das Comeback. Die jüngere R&B Szene zollte ihr nun Tribut und Marie fand sich umgeben von neuen Fans. Im letzten Jahr erschien ihre Huldigung an New Orleans "Congo Square", es wird ihre letzte Platte bleiben. Teena Marie starb am 26.12.2010 im Schlaf, sie hinterlässt eine Tochter.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Ain't it mad how time slips away?


Nächste Woche heute Übermorgen läuft, so verraten es nicht allein die Plakate an den Wänden, die US-Amerikanische Serie "Mad Men" in ihrer eingedeutschten Version an. Ich werde mir diese Serie nicht anschauen, schau' eh schon genug Fernsehen und aus unerfindlichen Gründen plagen mich schwere Abwehrimpulse gegen kluge US-Serien.

Dennoch fielen mir zwei Dinge in der Berichterstattung im Vorfeld der Ausstrahlung auf.

Zum einen wird stets auf die minutiöse Ausstattung und auch die präzise Rekonstruktion des sozialen Habitus der Protagonisten verwiesen. Diese Arbeit scheint nahezu einen Forschungscharakter zu besitzen. Kommentatoren berichten, wie wenig man über jene Zeit Ende der 50er bis Anfang der 60er wisse. Dann liest oder hört man Zitate der Serienmacher die nochmals betonen, daß das Publikum auch so eine genaue Arbeit verdiene, denn sonst würden sie durch kleine Unpässlichkeiten abgelenkt. - Insofern zähle ich auch nicht zum Zielpublikum der Serie, ich bin nicht 70 und habe keine Erinnerung an jene Zeit, ganz zu schweigen von ihrer Gestalt in den USA. Aber es beeindruckt mich, daß man in den USA nun Serien für 60 - 80 jährige mit hohem Aufwand realisiert. Oder ist dem nicht so und wir tappern nur fröhlich durch einen etwas blöden Kreisschluss von dem man hofft, er wirke wie eine selbsterfüllende Prophezeihung. Wenn man den Leuten nur lang genug sagt, wie es war und auch nicht davon ausgehen muss, daß sie nachforschen (wo auch, etwa bei Bourdieu?), so werden sie schon glauben, wie hier alles sehr genau nachgestellt wurde. Ist es nicht wahrscheinlicher, daß auf diese Weise Bilder konstruiert werden und dabei sogleich mit dem Wertigkeitssiegel höchster Authentizität ausgestattet?

Tatsächlich ist es interessant, daß wenige Klischeebilder über jene Phase existieren. Die Phase nach dem Rock'n'Roll und vor den Beatles, das kurz wieder scheinbar saubere US-Amerika welches natürlich schon immens von einer neuen Form von Popkultur geprägt wird, einer, die jedoch just wie gebändigt und kanalisiert erscheint. Keine Lederjacken und Tollen, Petticoats und wirklich wilde Jungs passen in die Vorstellung von jener Zeit und die uns vertrautere Kultur nach den Umwälzungen der zweiten Hälfte der 60er ist noch ungeahnt.

Gleichwohl gibt es natürlich ein paar rare, oft bezaubernd befremdliche Bilder aus diesen Tagen. Die Kamera war immerhin schon erfunden, ja sogar eine Art Ton hatten die Filme bereits. Rock Hudson, Doris Day, Sean Connery, Julie Andrews und Jack Lemmon hießen einige Pioniere des Kintopps jener Epoche. Namen die fremd in unseren Ohren klingen. Es gibt leider nicht sehr viele Quellen dieser fernen und unbekannten Zeit.

Tatsächlich hat sie sich zudem in der Vorstellungswelt versteckt und dort ganz klein gemacht. Gleich mehrmals las oder hörte ich, wie in Vorberichten von einer Welt vor 40 Jahren gesprochen wurde. Vor 40? 1970? - Schwupps fiel eine ganze Dekade unter den Tisch. Vielleicht liegt dies am Alter der heutigen Medienfachmänner. Sie sind nun auch nicht mehr jung. Stankonia, Kid A, Marshall Mathers, Lift your skinny Fists, Sex mit M. Mayer, Waking the Dead, High Fidelity, Virgin Suicides, O Brother where Art Thou? - Alles nun zehn Jahre her, so schnell zieht die Zeit.

Vielleicht kommt eines Tages eine Serie über die Werbe- und Medienwelt um 2000 und den Menschen darin, eine Zeit von der wir wenig wissen.

Samstag, 30. Januar 2010

Letztes Jahr - Musikliste

So etwas kann es auch pünktlicher geben. Aber ich habe auch heute jemandem ein frohes neues Jahr gewünscht. Und wo anderswo nur die Top 5 auftauchten, hier der ganzen Mühe Ergebnis.

LP:
1. Bob Dylan - Together through Life
Nochmaliger Wandel in diesem Rock'n'Roll vollends transzendierenden Spätwerk.
Robert Hunter bringt die Dinge auf den Punkt, das Coverphoto vollendet alles.

2. Jorma Kaukonen - River of Time
Lebendig, dreidimensional, wissend - auch ein nicht klein zu kriegendes Großtalent.
3. Prefab Sprout - Let's change the world with Music
Vielleicht nur die ersten beiden Stücke...
4. A Mountain of One - Institute of Joy
Außer ihnen schafft ja keiner interessante Songs. Toller artifizieller Schwulst.
5. Bob Bralove and Henry Kaiser - Ultraviolet Licorice
Infrared Roses revisited - atonale Kammermusik.
6. CéU - Vagarosa
Eine Idee wie es weiter gehen könnte. Enspannte Wut.
7. Bibio - Ambivalence Avenue
Eine weitere Idee, wie es weitergehen könnte. Hoffentlich kein Trick.
8. Tinariven - Imidiwan: Companions
Dieser Groove! Schwebend über Staub - mit geschminkten Gesichtern.
9. Bettina Köster - Queen of Noise
Queen of Survival - Flaneurmeisterwerk.
10. The Foreign Exchange - Leave it all behind
Als der Revival R&B auf Ivan Lins traf.

Single:
1. Whitney Houston - Million Dollar Bill
2. Ripperton - Prends-Moi Avec Toi
3. Grizzly Bear - While you wait for the others
4. Bsmnt City Anymle Kontrol - The Perfekt Sin
5. Bat for Lashes - Daniel
6. Feadz - Subiu, Desceu
7. Lady Gaga - Bad Romance
8. Rebolledo - Gurrero
9. Dubbyman Feat. Jus Ed* - Strange Days EP
10. Reggie Dokes - Spectacle Of Deepness EP
11. Patty Loveless - Busted
12. Margaret Dygas - Invisible Circles
13. Grizzly Bear - Two weeks
14. Patrick Cowley & Jorge Socarras - Soon
15. Classic Flowers - Whichflower

Donnerstag, 3. September 2009

She's still there with the Zombies (Oder: 45ypm)

Es ist ja nicht so, als würde man heute "Woodstock" 40 Jahre später, als seltsam schräges Histörchen vermarkten. Nein, trotz aller behaupteten Diszanz zum Hippietum strahlt aus einem großen Teil der dort vorgetragenen Musik immer noch eine unmittelbare Kraft, eine, an der Menschen teilhaben wollen.

Wenn man noch mal fünf Jahre weiter zurück geht, findet man in den Charts des Jahres 1964 Stücke, die heute immer noch begeistern, als cool gelten, auf Partys Menschen tanzen lassen oder dem Hörer ein Identifikationspotenzial bieten, welches nichts mit sentimentaler Verklärung, sondern Gefühlen im Hier und Jetzt zu tun hat. Nur deswegen können Amy Winehouse oder Duffy aktuell funktionieren.

1964: She Loves You - Beatles (USA), Can’t Buy Me Love - Beatles (USA), A Hard Day’s Night - Beatles, My Guy - Mary Wells, Where Did Our Love Go - Supremes, Baby Love - Supremes, Come See About Me - Supremes, Talking About My Baby - Impressions, Baby Don’t You Do It - Marvin Gaye, The Way You Do The Things You Do - Temptations, Live Wire - Martha & Vandellas, Dancing In The Streets - Martha & Vandellas, Anyone Who Had a Heart - Dionne Warwick, You Really Got Me - Kinks und She’s Not There - Zombies.

Nimmt man selbst solche Stücke dazu, die heute ein wenig veraltet klingen: You’ve Lost That Lovin’ Feelin’ - Righteous Brothers, I Feel Fine - Beatles, Any Way You Want It - Dave Clark Five, Glad All Over - Dave Clark Five, Needles and Pins - Searchers, Dance, Dance, Dance - Beach Boys, Pretty Woman - Roy Orbison oder Cousin Of Mine - Sam Cooke,

ja gar solche, die zu ihrer Zeit etwas veraltet schienen oder eine just vergangene Epoche markierten: Do Wah Diddy Diddy - Manfred Mann, Promised Land - Chuck Berry, Louie Louie - Kingsmen oder Viva Las Vegas - Elvis Presley,

so entsteht eine ellenlange, irre beeindruckende Liste großartiger Evergreens. Und das war und ist keinesfalls immer so. Vielmehr erstaunt diese Haltbarkeit der Musik, ihre Jahrzehnte überdauernde Modernität, vergleicht man sie mit einer Liste von Songs, die 1964 genau 45 Jahre alt waren. Man kann sich kaum vorstellen, daß damals junge Menschen auf einer hippen Party (ja nicht mal in einer Art von Retro-Gestus) besonders viel mit schönen Titeln wie "I Wish I Could Shimmy Like My Sister Kate", "Oh By Jingo!" oder "I'm Forever Blowing Bubbles" anfangen konnten. Sie waren alt, uralt, Relikte der Zeit des Grammophons und des Broadway Entertainments.

Was lies sie altern? Sicher ihr augenzwinkernder Ton, der sie schon im Titel von den dramatischen Themen der Stücke anno 1964 abhebt. Die Musik überhöhte diese Dramatik noch, in Gesten harmonischer, rhythmischer und dissonanter Befreiung. Es ist das letzte Jahr bevor die Intellektuellen kommen und die Kraft dieser Musik in etwas ummünzen, das glaubt die Welt aus den Fugen heben zu können. Aber wann zuvor hatte Musik diese Möglichkeiten in sich getragen?

Interessant, daß die vielleicht intellektuellsten Töne in dieser Sammlung die deutlichsten Spuren einer Zeitlichkeit erkennen lassen. Als die Zombies bei einem TV-Playback Auftritt auf einer mit lasziven Damen und spätbarocken Elementen dekorierten Bühne auftreten, blickt Komponist und Keyboarder Rod Argent mit herablassender Grimasse auf die Büste eines unbekannten Komponisten in Lockenperücke. Seine Miene sagt: "Na, hättest Du das auch hinbekommen?" - Die kontemplativ, triste Melodik der Strophen und der manieriert verzweifelte Aufschrei des Refrains, die plötzliche Steigerung des Tempos vor dem letzen Refrain, ja selbst der Harmoniegesang mit seinen gedehnten, halb dissonanten Vokalen, all das war in dieser Kombination völlig neu und ungehört. Der Text erzählt von der schmerzhaften Erinnerung an eine verschwundene Liebe, eine Romantik des Verlusts die sich in kleinen Details (Her voice was soft and cool - Her eyes were clear and bright) aufhält. Die Figur der Verschwundenen zieht im folgenden durch einige weitere Stücke. Im Entsetzen einer neuen, bedrohlichen Realität: Six O'Clock - The Lovin' Spoonful, als gebrochenes Herz eines zu Unbedarften: Katie's Been Gone - Bob Dylan & The Band, in unsagbar verfeinerter Bitterkeit: Coming Back To Me - Jefferson Airplane oder auch als samtiger Schmerz für ein erwachsenes Publikum: The Most Beautiful Girl - Charlie Rich und am Ende in der trügerischen Sehnsucht eines fatalen Wunschdenkens: The Long And Winding Road - Beatles und Simple Twist Of Fate - Bob Dylan. Dann verschwindet diese Konstellation allmählich, verbleibt noch Stil des Sentiments Charlie Richs bei einem erwachsen gewordenen Publikum (etwa in: If I Had It My Way - Kim Weston), doch sie verlässt die jugendliche Pop-Welt. Fast so, wie Lord Byron und die anderen Romantiker, ja am Ende selbst Francoise Sagan aus den Leselisten verschwanden. Es gibt auch heute eine Idee dieser Sprache, auch dieser Empfindungen. Die alten Stücke berühren den Hörer, vielleicht sogar umso mehr im Schatten ihrer aktuellen Abwesenheit. Doch ein kleiner Impuls, ein verräterischer Funke fragt: Was für eine Dramatik! Wofür? Tatsächlich kennt der aktuelle R&B noch Hassarien in denen dem Verletzer, Fremdgeher und Verlasser hinterer gebrüllt wird, er berichtet auch vom Pathos imaginierter Todessehnsüchte in Stimmen, deren Tremologesang eher von enormer Lebensenergie kündet. Doch diese erwähnten kleinen Feinheiten der alten Geschichten, die nicht mal verrieten, was wirklich zwischen Ihr und Ihm war, sie sind verschwunden. Die Zombies waren die ersten großen Meister dieser Geschichte, ihnen gelang es sie mit einer aktuellen, sehr beweglichen Energie zu versehen. Rhythmisch wippen die Musiker im TV-Studio nach vorn und hinten, die psychedelischen Sounds der kommenden Jahre schon vorwegnehmend und in den Groove der verlorenen Seele einloggend. Hey, habt ihr sie gesehen? Wo ist sie? Ich irre hier rum. Sie hatte dieses wundervolle Haar und ihre Augen, ach, wenn ich von diesen Augen erzähle! - In Wirklichkeit ist sie nicht weit weg gekommen, sie wollte gar nicht weit weg, wo sollte es auch noch viel besser werden als bei den Zombies? Sie ist da, ganz in der Nähe, Du kannst sie im Moment nicht sehen, aber sie wird auch noch später da sein, in 45 Jahren, ganz sicher.

- So wie der "Royal Garden Blues" aus dem Jahr 1919, welcher als eins der ersten Riff-geprägten Stücke des Dixieland Jazz unter Kennern und Liebhabern auch heute noch gespielt wird? Oder immer noch mit einer Direktheit des Empfindens? Vielleicht irgendwo dazwischen. Sicher aber sind diese Stücke des Jahres 1964 aus einer andern Substanz als das "Pokerface" anno 2009. Ihm bleibt nur die Variation, der Variation einer Variation am Ende einer Geschichte die, wenn nicht 1954, so tatsächlich vor 45 Jahren begonnen hatte.

Montag, 31. August 2009

Manövercritque


Philippe Manoeuvre, ein guter Name den man, wird man nicht damit geboren, sich ausdenkt um ein wenig Furore zu machen. Monsieur Manöver schlüpft für Arte ab und an in die Lederjacke und erinnert sich an seine tollsten Tage, die er als verdienter Redakteur bei Metal Hurlant verbrachte, um gleichzeitig auch eine ordentliche Karriere als Popjournalist hinzulegen, zu einer Zeit, als dieser Beruf noch Rockjournalist hieß und es was zu schreiben gab. Philippe Manoeuvre also wählt für Arte Stücke aus "Top of the Pops" Sendungen, um einen thematisch geordneten Querschnitt der 70er abzuliefern: Vorgestern oder so war Punk dran und da fiel mir etwas auf, was mich erfreulich beunruhigte.
Lange Zeit sah ich nur eine schmale Linie zwischen dem technisch reduzierten und dafür aufgespeedeten Rock und den seltsameren stilistischen Grenzexkursionen, in welche sich Punk leicht aufteilen lässt. Das Eine war in Vielem würdigenswert, toll aufregend aber eben auch redundant, letztlich nur wieder mehr vom Selben. Dieses Eine wurde mir Vorgestern oder so mittels Gen X und den Ramones präsentiert und es klang so harmlos: Bubblegum Songs runtergerasselt, Kinderlieder zickig vorgetragen von süß linkischen Posern. Das wirklich Schönste waren die völlig unproduzierten Stimmen. Eine Dünne, ja spindeldürre, sehr reine und doch auch sehr harmlose Musik. Es folgten die Specials und sie fegten diesen Eindruck weg. Bald waren die anderen Songs vergessen ausgemustert vom überheblichen Schlafzimmerblick Terry Halls, als sei er der neue Drahtbesen-Trainer im Aufsteigerclub. Und seine Mannschaft (die ja historisch korrekt nie seine Mannschaft war) zeigte Wundersames: Echte Aggression und eine musikalische Kraft die auch heute nachklingt.
Ich mochte es nachprüfen: Clash - White Riot, irgendwas von Eater, die einst verehrten Buzzcocks, alles Kaffee der zur Hälfte am Filter vorbeigesickert war. Punkgrößen mit wenig Reiz, außer daß sie schick aussahen. Komisch, die im selben Territorium agierenden Adverts kommen recht gut davon, ebenso wie die drei, vier starken Sex Pistols Stücke und Damneds "New Rose". Bei anderen funktioniert fast alles: Siouxsie and the Banshees, Wire, Kleenex, Slits, Raincoats ja auch Stranglers.
Eine interessante Zeit, es wäscht sich das Unmittelbare des Sounds ab. Nach Zehn Jahren klingt Musik langweilig, nach 20 hip und nach 30 Jahren sehr befremdlich aus einer anderen Zeit, es wird nötig die Musik neu zu lernen, sie mit anderen Klängen ihrer Zeit in Verbindung zu bringen, archäologisch zu hören. Das würde einigen der nun ausgelaugten Punkaufnahmen etwas zurückgeben, doch bleib ich erstmal bei den Dingen die heute eher unfassbarer denn je erscheinen. Denn das ist die andere Seite des Punk-Hörens 2009: Wieviel unglaubliche Musik dennoch zwischen 1976 und '79 aufgenommen wurde.
Die Distanz wird größer, manches verschwimmt aus seiner glanzvollen Historie in das tiefe Dunkel des Mittelmaßes, also dahin, wo heute fast alle besseren Musikveröffentlichungen mit Schmackes durchstarten. Am Ende des Manövers bleibt die Vorstellung des Triumphs.