Die Weltpresse preist nahezu im Unisono D'Angelos neues Album "Black Messiah". 15 Jahre dauerte das Warten. Fast schon ulkig, daß der folgende Text zu dem Vorgängeralbum "Voodoo" ebenfalls aus der Perspektive des Wartens geschrieben wurde, wo doch lediglich fünf Jahre seit seinem Debüt "Brown Sugar" verstrichen waren. Der Artikel beschreibt den Höhepunkt des Rimshot-Retro-Souls, sprich Questloves Beat und die Okayplayer Schule. Ebenfalls sehr prägend fungierten ex Tony! Toni! Toné! Musiker Raphael Saadiq und Amir Shaheed Muhammad von A Tribe Called Quest. Dieser Sound war nicht so sehr die Reproduktion eines gewissen Stax- oder Muscle Shoals-Klangbilds der 60er, welches den heutigen Retro-Soul auszeichnet, sondern er suchte nach der Klassik in der Moderne oder - wie es der Text nahelegt - nach der Seele in einer Musik zweieinhalb bis drei Jahrzehnte nach dem Höhepunkt des Singer-Songwriter-Souls. Die kanonische Nennung von "Marvin, Stevie, Curtis" erhielt in jenen Zeiten bald einen stereotypen Charakter. Doch für die Interessanteren - und zu denen zählten D'Angelo und Angie Stone nun zweifelsfrei - waren auch die 80er, ein Thema, vertane Chancen, Prince, zu große Schritte oder Stagnation? (Tatsächlich ebneten sie mir in diesen Gesprächen einen Weg zurück zu Sades Platten.) Noch schien HipHop der Beweger einer aktuellen, sich mit dem Begriff des Authentischen umgebenden Musik. Noch war es nicht an der Zeit auf Spannung zwischen der Idee des Authentischen und dem Retro-Geist der Klänge zu verweisen, denn diese Musik wollte noch in ein Morgen. Ein Morgen, welches wortwörtlich anbrach, als mich D'Angelo in seine Welt mit ihrem ganz eigenen Timing einführte. Ein irgendwann gegen 17 Uhr mitteleuropäischer Zeit angesetztes Interview begann mit einem Anruf aus L.A. circa 1 in der Nacht. Das Tolle, ich hatte die verstrichene Zeit mit der nochmaligen Lektüre von Hubert Fichtes "Xango" verbracht und D'Angelo wiederum einen Freund im Krankenhaus besucht. Das folgende Gespräch blieb mir weit lebendiger in Erinnerung, als die meisten Interviews. Mag sein, daß seine Bedingungen eine Rolle spielten, auch daß seine Aussagen jene Angie Stones so gut ergänzten, obwohl der Kontakt beider in jenen Tagen wohl eher dünn war. Kürzlich sah ich, daß sie in Australien wieder zusammen aufgetreten sind. Daß 15 Jahre bis zu einem weiteren Album verstreichen würden, hatte ich nicht geahnt, wenngleich die Last auf D'Angelos Schultern nach "Voodoo" noch schwerer wog. Der Retter einer Musik, die auf einen Retter wartete. Das war zuviel, Angie Stone versuchte es hier bereits zu sagen. Seine wenigen Ups und häufigeren Downs gingen zum Teil durch die Presse, während ihr eine Karriere glückte, jene letzte Chance, die sie vermutet hatte. Sah sie einmal mit enorm erkälteter Stimme auf einer Bühne nicht aufgeben. D'Angelo wiederum sah ich damals noch im selben Jahr beim Axion Beach Festival und es war wie ein in Zungen fabulierendes Mardi Gras. Heute klingt seine Rückkehr weniger nach jenem Aufbruch ins Abstrakte, sondern wie eine Weiterführung des Gefundenen zwei Jahre später. Warum es 15 wurden, werden andere erzählen.
Spex 232
März 2000 - D’Angelo / Angie Stone
Spuren
Ist Erinnern retro?
Es war still geworden. Nicht, dass alle wirklich aufgehört hätten zu reden - Im Gegenteil. Der Raum zwischen den Wörtern schrumpfte, bis still und klammheimlich jedes Echo verklang, denn mit dem Raum, so lehrt es die Akustik, verschwindet auch das Echo. Kaum jemand merkte was, aber einige spürten, dass die Musik nicht mehr so war, wie sie es kannten, von früher her: alten Schallplatten, der Kirche, vom Gospelchor vielleicht. Doch es musste diesen Klang noch Immer geben und jemand musste wohl auch in der Lage sein, ihn mit Sinn zu füllen. Wie in den Songs deren Worte nicht gänzlich unabhängig, als eingängige Werbeslogans, neben den Sounds herplapperten. Wo war die Tiefe, die, egal wie zum Klingen gebracht, als Essenz dieser Musik innewohnte?
Doch nicht viel bleibt auf Dauer. Und was bleibt, wird vielleicht auch vergessen, liegengelassen, über- sehen. Dann, wenn es jemand findet und aus irgendeinem Grund als bemerkenswert erachtet, ist es zu einer Spur aus einer anderen Zeit geworden. In einem Steinbruch an der Westküste Frankreichs wurden rund 96 Millionen Jahre alte, in Bernstein eingeschlossene Insekten gefunden. Wie der Paläontologe Didier Neraudeau von der Universität Rennes am Mittwoch dem 15. September 1999 mitteilte, handelt es sich um die ältesten jemals in Europa entdeckten Insektenfunde.
Vielleicht am selben Tag tippt ein eifriger Journalist den Pressetext zu dem so lange erwarteten zweiten Album von D'Angelo und datiert ihn 9/99. Dabei kennt er von »Voodoo« nicht mehr als den Titel und einen 6-Track-Sampler, von dem ein Stück bereits seit längerem als Single veröffentlicht ist und ein anderes nur als kurzes Fragment existiert. aber schon als im Dezember 1998 »Devils pie« erschien, war D'Angelos neuer Longplayer überfällig, gemessen an dem Veröffentlichungsturnus, der einen im Gespräch hält. Und knapp ein Jahr später ist es ein offenes Geheimnis: Das junge Genie hat massenweise Material angesammelt - also was hält ihn ab? Perfektionismus? Angst?
Beides wäre nachvollziehbar, denn kaum eine Soul/R&B-Platte der 90er wurde dermassen bejubelt, wie das Debüt des damals 20-jährigen „Brown sugar« war ein Statement, ein reduziertes, jazzig- relaxtes Album, nach dem Retro-Nuevo-Stil der 80er war es die nächste Stufe der Rückbesinnung auf die großen Namen der Soulgeschichte, und trotz seiner gleichzeitigen Verwurzelung im HipHop eine Absage an eine Musik, die sich über das sie umgebenden Business definiert und dem fetten Geld mit fetter Produktion nach der Nase tanzt. Ähnliche Platten folgten: Erykah Badus »Baduzim«, Rahsahn Pattersons Debüt, einiges vom Refugee-Clan und aus London Lynden David Hall. Doch D'Angelo verkrachte sich mit seinem Produzenten, dem selbsternannten Protege des neuen Retro-Sounds und Top-Talentscout Kedar Massenburg. So erscheint nur noch eine kurze aber hübsche Live-Platte, dann wird sein US-Label aufgelöst und er muss sich um neue Verträge kümmern. Während immer mehr Zeit verrinnt.
Im Zeichen der Referenz
Dann ist er wieder im Studio, alle Interviews, die er» Svor dem sich stetig hinauszögernden Erscheinungstermin von »Voodoo« gibt, scheinen im Studio stattzufinden, die Photosessions auch. Einmal sitzt ein gutgenährter, cremefarbener Kater neben ihm, sein Name ist Jimmy - er gehört hierhin: Electric Lady Studios, NY. Er trägt wohl auch den Geist in sich. Kehrte hier während der langen Sessions etwas zurück oder war es vielleicht nie fort - nur ganz leise geworden, übertönt von dem Lärm der Top 10, auch seines Echos beraubt und auf zweidimensionale Klischees zusammengepresst? Kümmerte sich überhaupt jemand darum, suchte jemand nach den Spuren da draußen?
Heute hat sich »Voodoo« an die Spitze der Billboard-Charts gesetzt, von 0 auf 1. D'Angelo wurde nicht vergessen, nein, sein Ruf steigerte sich ins fast Unermessliche, und man fieberte seiner Platte nach 5 Jahren entgegen wie einst der neuen Prince. Es scheint da auch bei vielen ein Bedürfnis zu geben, in D'Angelo den neuen Prince zu finden, Parallelen gibt es einige, wenn man sie sucht. Beide gelten als nahezu klassische Wunderkinder, D'Angelo spielt Piano seit seinem 5 Lebensjahr, erlernt Bass und Gitarre und beginnt mit dem Songschreiben, bevor er sich das erste Mal rasieren muss. Wie Prince ist er verschlossen in seiner Erscheinung aber von seinem Jugendidol meilenweit entfernt, D'Angelo ist ein zugänglicher Mensch, dem an Glam und Glitter nichts liegt.
Prince könnte (und wird) in »Voodoo« reinhören und Facetten seines Spiegelbildes zwischen den Tönen hervorblitzen sehen, den Prince von D'Angelos Lieblings-LP: »Sign of the times«. Was bei ihm seinerzeit scheppernd auseinanderbrach und ihn ziemlich allein ließ in einer Welt, die er nicht nur als ¡eine beschädigte sah, sondern auch spürte, das hat sich bei D'Angelo in feine Partikel zersetzt, zu leiner impressionistischen, nach innen gewandten Interpretation. D'Angelos Musik platzt nicht heraus, muss auch nicht stolpern, sondern sie sucht nach einem Zentrum in sich selbst, kreist um das Individuum. Der Sound von »Voodoo« kennt vor allem Bässe und Höhen. Auf dem ruhigen, präzisen Miteinander von Bassgitarre und Drums kann man sich ausruhen, die Platte genießen, egal ob zuhause oder im Auto oder im Café, hier wähnt man sich sicher. Ist man in Ruhe allein, kann man mühelos zu den Falsettmelodien seines Gesangs balancieren und im Takt der Rimshots weiterziehen, wie auf dem Kraterrand eines stillen Vulkans, bis man wieder beim Bass ankommt. Aber was ist, wenn das Ohr und der Körper an allen Stellen zugleich sein, alles fühlen will? Mal laden elegante Bläsersätze, Congas oder eine Gitarre dazu ein, eine Brücke über den Krater zu denken und sich im Angesicht des Ungewissen tief, tief fallenzulassen.
Ich höre jeden Abend das Trommeln.
Leise.
Es dauert bis zum Morgengrauen
Es verändert meinen Herzschlag.
Ich kann nicht im Zimmer bleibem
Ich gehe auf die Suche nach dem Vaudou, von dem her das Trommeln in den bürgerlichen Vorort einsickert.
Ich gehe den Tönen nach.
Schon unterscheide ich die Stimmen der Singenden.
Sie hören auf.
Als das Trommeln wieder einsetzt kommt es von ganz fern, aus einer anderen Richtung.
(Hubert Fichte - Xango)
Herzlichen Glückwunsch zum Chartserfolg. Wirkt er nicht wie eine Befreiung, nach der langen Arbeit?
D’ANGELO: Oh, ja sicher, das tut es. Es dauerte ziemlich lange, zweieinhalb Jahre, das alles zusammenkommen zu sehen und es zum Leben zu bringen. Ja, es ist sehr schön.
Wie bist du mit dem wachsenden Erwartungsdruck klargekommen?
D’ANGELO: Ich fühlte den Druck, aber ich versuchte mich nicht davon runterziehen zu lassen. Ich wusste, ich machte die Dinge auf die für mich beste Art und Weise. Erst am Ende fragte ich mich, ob das, was ich wollte, wirklich verstanden werden würde.
„Voodoo“ verbindet für mich zwei Pole: auf der einen Seite klingt die Musik sehr entspannt und spontan, auf der anderen Seite hört es sich so an, als sei jeder Ton einzeln durchdacht und ganz bewusst aneinandergefügt worden.
D’ANGELO: Nicht wirklich. es war alles sehr spontan. Weißt Du, ich wollte daß es roh klingt, fast wie ein Demo. Ich konnte das nicht über das gesamte Album machen, aber „Send it on“, „One mo’gin“ oder „The Line“ klingen wie ein Demo.
Was für mich so geplant wirkt ist wie ein bestimmter Vibe - mehr als nur ein Sound die Musik umschließt. Es scheint, als erzähle die ganze Platte eine Geschichte.
D'ANGELO: Danach habe ich gesucht. Auch wenn ich bis zum Ende nicht exakt wusste, wie es klingen wird, hatte ich doch vom Beginn an Visionen, wie es sich anfühlen sollte. Wir haben so viel gejammt und ich konnte nur einen kleinen Teil davon am Ende auf die Platte bringen.
Was ist Voodoo für Dich?
D'ANGELO: Voodoo ¡st ein Ritual der Afrikaner in welchem wir die Vorfahren und Götter anrufen und zu ihnen beten. Wir benutzen dazu Musik, Lied und Tanz. Der Geist ¡st fühlbar. Und das will ich auch mit Musik erreichen, es gibt heute nicht mehr viele die das versuchen. Musik und Spiritualität?
D'ANGELO: Ja, früher war Musik spiritueller. Ich wüsste es selber aber auch nicht anders zu machen, ich habe in der Kirche angefangen zu sin gen. Du warst da nicht, weil es schick war oder um hübsch auszusehen, du wolltest, dass der Geist dich erfasst. Wenn du dir Typen wie K-Ci&JoJo anhörst, merkst du es auch, sie kommen aus der selben Schule des Gospels.
Hast Du jemals an einer Voodoo Zeremonie teilgenommen?
D'ANGELO: Nein, nein. Ich wurde in einer Yoruba- Zeremonie auf Cuba initiiert. Das habe ich erst kürz- lich gemacht und ich lerne über die alten Religionen, aber ich habe Voodoo nie praktiziert. Ich habe Geschichten von Leuten auf dem Land gehört, in Carolina, die darin verwickelt waren. Und ich habe die Taten Gottes und die des Bösen, des Teufels gesehen, ich weiß, da gibt es Dinge, die wir nicht wissenschaftlich erklären können. Dinge, die wir nicht mit dem Auge sehen können und na ja, ich weiß nicht... [lacht]
Deine Initiation muss ein bedeutender Moment gewesen sein.
D’ANGELO: Ja, oh ja. Ich meine, ich bin da durch gegangen, ich habe es gespürt und ich konnte nichts Böses fühlen. Ich wollte genau wissen, was wir da tun, wie wir es tun. Denn es sollte friedlich sein und so fühlte es sich auch an.
War es so, wie Sly Stone sagt: »Africa talks to you«?
D'ANGELO: Genau so war es. Wir waren auf Cuba, aber ich fühlte mich Afrika sehr, sehr nah. Die Leute! um mich waren für mich Afrikaner, es war dope, da zu sein, weißt du. Es war so anders als alles was wir tun, was wir taten, bevor wir nach Amerika kamen. Ich kenne Videos von Voodoo-Zeremonien und die Art, in der die Menschen vom Geist in Besitz genommen werden, ist für mich nicht anders, wie wenn der Heilige Geist in der Kirche in jemand fährt und die Leute in jungen reden.
Wer schrieb die tollen Sleevenotes zu „Voodoo“?
D’ANGELO: Das war ein Typ namens Saul Williams, ein Autor und Schauspieler, ein brillianter Vosionär. Sein Vater war übrigens auch ein Prediger.
Er kritisiert die männliche Selbstverliebtheit im HipHop. Siehst Du dort zu viel Machismo?
D’ANGELO: Oh, ich bin selber ein Macho, das Album ist macho auf seine Art. Ich habe nichts dagegen, was mich stört ist Ignoranz und Leute, die Musik nicht nutzen, wofür sie bestimmt ist. Musik hat mehr Kraft, als daß man mit ihr nur zeigen sollte, wieviel Geld einer verdient. Klar, wir wollen alle Geld machen, aber das ist nicht alles, wir sollen Visionäre sein, darum geht es.
Gibt es einen Unterschied zwischen Soul und R&B?
D'ANGELO: Definitiv. R&B ist für mich Radio-Bullshit, es ist eine Verbrämung dessen, was mal Rhythm & Blues genannt wurde. Rhythm & Blues und Soul haben eine tiefere Verbindung.
Soul Musik hat einen schweren Stand seit Mitte der 80er...
D'ANGELO: ...aber gerade dann hat Prince seine besten Platten gemacht!
Gut, aber im allgemeinen reduzierte sich Soul zu reiner Balladenmusik...
D'ANGELO: ...ja, ja Luther Vandross...
Und es gab nur wenige Ausnahmen. Anita Baker vielleicht.
D'ANGELO: Oh, sie war dope als sie anfing. Sie und Sade.
Kannst Du dir vorstellen, ähnlich wie Prince, in der Zukunft explizit soziale und politische Themen anzusprechen?
D'ANGELO: Ich habe da keine Angst vor, habe michdorthin auch etwas vorgewagt, aber ich will das nicht forcieren, es wird kommen, wenn es kommen soll. Ich mag es nicht, wenn Leute zu mir predigen und ich will nicht zu anderen predigen. Das Beste ist, von deinen eigenen Erfahrungen zu sprechen.
Wie war es für Dich mit Angie Stone, der Mutter deines Sohnes, auf Voodoo zusammenzuarbeiten?
D'ANGELO: Ich kenne sie so lange und wir haben den selben Background. Ich habe sie damals kennengelernt, als ich auf der Vertical Hold-Platte mit ihr das Duett sang. Ich wusste sie ist ein guter Songwriter, wusste sie war in Sequence. Alles kommt so natürlich, wenn wir Musik machen, da ist nichts Seltsames.
Was ist also heute Soul?
Folgt man D'Angelo, rückt der Gospel wieder ins Zentrum seiner Definition. Gospel nach dem Kontakt mit dem Sex des Rhythm & Blues und der Popkultur des Rock'n'Rolls? Das mag zumindest den großstädtischen Soul der nördlichen Metropolen erklären, aber der wahre Soul, daran lassen die aktuellen Retro- Protagonisten keinen Zweifel, der kommt aus dem Süden.
Angie Stone ist ein Kind des Südens, aufgewachsen und zum Gospelchor gegangen in Columbia, South Carolina. Bis ihr eines Tages ein Konzert der Sugarhill Gang eine völlig neue Welt eröffnete. Mit zwei Freundinnen gründet sie Sequence, zieht nach New York, wo ihre heute fast legendäre Maxi »Funk you up« im November 1979 auf Sugarhill erscheint. Aber keine der weiblichen Old-School-Crews kann sich auf dem Markt etablieren. Angie singt, schreibt Songs und taucht 1993 in dem Trio Vertical Hold wieder auf. Vertical Hold stehen im Ruf, leider glücklos die ersten Schritte zu einer Soul-Rückbesinnung im modernen R&B unternommen zu haben, Angie Stones eigene Beschreibung: »ein wenig wie Loose Ends, kommerziell aber doch Soul-kompatibel« trifft die Sache deutlich besser. Eine gute schicke urbane Band. Nachdem sie, wie fast auch D'Angelo, einer Labelumstrukturierung zum Opfer fallen, verliert Angie die beiden anderen Mitstreiter und gewinnt einen neuen Freund. Bald wird sie zum zweiten Mal Mutter und veröffentlicht gut drei Jahre später mit »Black Diamond« ihr Solo-Debut, wieder steht sie an der Spitze einer deutlich auszumachenden Bewegung.
»Black Diamond« - eine CD, so elegant wie ihr Cover. Eine schillernde Retro-Soul-Platte, die nicht nur in höchsten Tönen vom Kiffen schwärmt, sondern die einem hilft, sowohl frisch verliebt als auch mit Herzweh den täglichen Abwasch zu meistern.Musik, die einen freundschaftlich begleitet. Sie haben eine spezielle Leichtigkeit, diese sehr bewusst auf die Präsenz von Angies Stimme hinproduzierten, langsamen bis midtempo Songs, Schmetterlinge, die sich schon Jahre bevor Angie Stone zum ersten mal HipHop hörte verpuppt haben müssen und nun endlich frei im Aufwind flattern. Absagen an jede Modernität? - Keinesfalls, aber ähnlich D'Angelos Musik, plädiert Mrs. Stone für den freien Zwischenraum, den Ort, der auf die nicht so einfach codierten Mitteilungen weist.
Wie fühlst Du Dich nach dem Erscheinen Deiner ersten Solo-LP?
ANGIE STONE: Extrem gesegnet und dankbar.
Auf dem Cover befinden sich viele Zitate aus dem Neuen Testament. Ist Religion ein zentraler Aspekt in deinem Leben?
ANGIE STONE: Oh, ja, das steht außer Frage.
Seit wann?
ANGIE STONE: Kindesalter. Ich war 12, 13 Jahre alt, als ich zum ersten Mal persönlich Gott spürte. Schon vorher war ich immer zur Kirche gegangen, aber dann hatte ich zum ersten Mal diese eins-zueins Erfahrung.
Welcher Gestalt?
ANGIE STONE: Berührt vom Heiligen Geist, Visionen, Träume - ich nehme dies alles sehr ernst.
Ist Musik für Dich ein Weg, sich Gott zu nähern?
ANGIE STONE: Klar! Auf der Hülle meiner CD kannst Du eine versteckte Inschrift finden...
»Psalm 100:1-2: Jauchzet dem Herrn, alle Welt! 2 - Dienet dem Herrn mit Freuden, kommt vor sein Angesicht mit Frohloken«
...Gott will, dass Du singst.
Hallo Leser! Zuckst Du gerade zusammen, willst doch lieber zurück zu den Themen, über die sich hier im allgemeinen Musiker auslassen? Verständlich. Aber vielleicht hilft es, etwas jenseits unseres alltäglichen Umgangs mit Musik herauszufinden. Angie Stones Platte läuft bestimmt auch schon in deinem Szene-Café, gut möglich, dass sich der Mille Plateaux-Fan am Nebentisch gerade öffentlich zu Destiny's Child bekennt (oh, ja!). Es scheint, als würde der Glauben an eine lineare, rationale Moderne endlich Risse bekommen, nachdem er nun so lange die allgemeine Wahrnehmung popkultureller Codes inklusive der Bereitschaft zum schnellen Urteil über dies und das beherrschte. Aber was ¡st nun mit dem Erinnern? Ist es nur eine Retro-Strategie oder überhören wir die Echos und übersehen wir die Spuren nicht auch, weil es uns so schrecklich zäh scheint, immer wieder Fragen stellen zu müssen?
Was ist Freiheit für Dich?
ANGIE STONE: Nicht in einer emotionalen oder mentalen Falle zu stecken, denn das kann Dir die Menschlichkeit, deinen Geist, rauben. Frei davon, sich von Freunden, Familie oder selbst der Liebe täuschen zu lassen, denn diese Dinge sind nur eine große Täuschung, solange Du nicht Gott in den Vordergrund lässt.
Wie war die Zusammenarbeit mit D'Angelo auf Deiner und seiner Platte?
ANGIE STONE: Es waren zwei unterschiedliche Situationen. Ich habe absichtlich wenig mit ihm auf meiner Platte kollaboriert, weil es da draußen sicher eine ganze Menge Leute gab, die dachten, ich brauchte ihn, um selber eine Platte machen zu können. Mir ging es also auch darum, das Gegenteil zu beweisen.
Worum ging es Dir noch?
ANGIE STONE: Es ging um Realität. Ich denke, »Black Diamond« reaches and teaches.
Fehlen diese Dimensionen dem aktuellen R&B?
ANGIE STONE: Ja. Aber ich finde es an diesem Punkt wichtig, nicht die Stile zu verwechseln, denn die Leute bringen sie heutzutage gerne durcheinander. R&B, HipHop und Soul sind sehr verschieden. Soul ist sehr emotional, vom Geist und der Seele bestimmt. R&B ist hip, hat weniger Ursprüngliches und mehr kurzlebige Elemente. Und HipHop ¡st halt eine straighte Kids-Musik, aber sie schafft keine Standards. Standards schafft eine zeitlose Musik wie Soul. Dagegen ist HipHop nur schick und R&B belanglos. Ich selber bin ein Produkt all dieser Stile und ich versuche, in meiner Musik Brücken zu bauen, Verbindungen zu schaffen. Ich denke, meine Musik ist eine gute und spirituelle Musik und wird von der Kritik gewürdigt, weil sie alle Menschen erreicht: alt, jung, schwarz, weiß, schwul oder straight.
Gibt es eine Verbindung zur Vergangenheit in der Musik?
ANGIE STONE: Ja genau, sie trägt Dich zurück zu Gladys Knight, zu Marvin Gaye und Sam Cooke. Ich wollte etwas wiederbeleben und es gleichzeitig an heute anknüpfen.
Jemand wie Prince hat früher sein Publikum jedes Jahr mit einem neuen Sound überrascht.
ANGIE STONE: Prince hat aber so auch seine Karriere ruiniert. Er ist und bleibt für mich ein Genie, ganz egal was ich von seinen neuen Sachen halte und ich glaube als Fan, dass er immer wieder Musik machen kann, die mich völlig begeistert aber... weißt du, es ist das Selbe mit D'Angelo, er will so schnell wachsen, dass er sein Publikum verwirren könnte. Ich selber bin da etwas anders, ich möchte so konsistent arbeiten wie Anita Baker oder Sade. Ich möchte mein Publikum nicht enttäuschen. Mary [J. Blige] kann sich das nach vier Top-Alben leisten, ich nicht, ich habe nur Platten gemacht mit Bands, an die sich niemand mehr erinnert.
Was ist die Seele in der Musik?
ANGIE STONE: Es hat für mich mit Einflüssen und Emotionen zu tun. Gospel-Wurzeln, Spiritual-Wurzeln, es bedeutet, mit dir selber eins zu werden. Soul zu kennen heißt, die Seele in dir selber zu kennen. Für mich hat das auch viel mit der Kirche zu tun, mit der Leidenschaft, Gott zu dienen. Ich glaube, dass alle großen Soul-Künstler sehr religiös sind. Ich denke da an Lauryn Hill, Erykah Badu, an Aretha Franklin, Maxwell, D'Angelo, all die Leute.
Kannst du eine ähnliche Spiritualität im Country finden?
ANGIE STONE: Absolut! Ich liebe Country Musik, gerade heute noch habe ich mir eine Patsy Cline-Platte gekauft. Mein Traum ist, eines Tages mit irgendeinem Country Sänger ein Duett zu singen, ich möchte da gerne die Leute schockieren.
Aber was ist nun mit der Seele? Ist sie etwas altes, vertrautes, zu dem man immer zurückkehren kann? Oder ist sie immer anders, wie durch andere geheim in uns verortet? D'Angelos und Angie Stones Soulverständnis kann beides nahelegen. Oder besser: es entwirft in seinen so interessanten Widersprüchen und Wechselspielen zwischen bewusster Konstruktion und betonter Authentizität etwas schillerndes vielseitiges, das gleichsam neu und zig mal gehört klingt. Ein Geheimnis? Wird man mir es nachsehen, wenn ich nun auch noch den ganzen Text mit einem Fragezeichen beende?
Oliver Tepel
Montag, 5. Januar 2015
Sonntag, 10. August 2014
FKA twigs sonst ändert sich nix
Hier der Raiders of the Seven Seas Directors Cut meines FKA twigs Textes aus der nun, gemäß des wöchentlichen Tonus aus den Kiosken verschwundenen Ausgabe von Der Freitag. Die Grafik verliebte sich in eine Großaufnahme der Hauptdarstellerin und so mussten ein paar kleine Dialoge dran glauben. Kritik und Publikum werden beim Vergleich die Entscheidung nachvollziehen, besserer Rhythmus und klarere Struktur. Aber für die Sammler, dann nicht erst nach 30 Jahren, die ursprüngliche Version. - Nein im Ernst, wer die Printversion verpasst hat, mag vielleicht hier nachlesen. Das schöne Photo gab es aber nur in der gedruckten Ausgabe.
Stiller
Schreien
Sie
kam wie aus dem Nichts. Eine dieser Musikdateien, von Freund zu
Freund verlinkt, nett, kurzweilig, meist schnell vergessen. Doch hier
lag der Fall anders, das „Hide“ betitelte Stück blieb mit seiner
seltsam stillen Tragik in Erinnerung. Oder was war es, das die helle,
junge Stimme der Sängerin namens Twigs mitteilen wollte? Euphorie
gar? Den Gesang begleitete ein metronomischer Takt, der am Ende des
Stücks im mechanischen Klackern eines Uhrwerks erstirbt, dessen
Federwerk die letzte Spannung entweicht.
Unsere
flüchtigen Pop-Phänomene entstehen heute fern der Printmedien, im
Stille Post Prinzip. Das Flüstern verstärkte ein Video: Zwei
halbnahe Einstellungen auf einen sehr schlanken nackten Körper von
Bauchnabel bis Knie vor rotem Hintergrund. Der Körper in schwarz
weiß, das Geschlecht verdeckt von einer signalroten Flamingoblume,
ein Spiel mit den Assoziationen des schildförmigen Hochblatts und
des aufragenden Blütenstands.
Über
die Künstlerin war nichts zu erfahren, derweil drei weitere Stücke,
nebst künstlerisch reduzierter
Videos erschienen. Dann sah man die Britin im Herbst 2012 auf
dem Cover des immer noch trendgebenden i-D Magazins, als eines von
mehreren hoffnungsvollen Gesichtern der „just Kids“ Ausgabe.
Kids, die bald vergessen sein werden? Längst regiert routinierter
Zynismus die Pop-Wahrnehmung, stets geht man davon aus, dass etwas
nur clever lanciert wurde. Doch von wem? Twigs vier Stücke
erschienen als Privatpressung auf Vinyl. Und worunter sollte diese
Musik verortet werden? Man einigte sich auf R&B mit diversen
Zusätzen: „Dark“, „Alternative“ oder gar „Gothic“.
Als
wäre all das nicht verwirrend genug, musste sich Twigs im letzten
Jahr, nach der Beschwerde einer gleichnamigen Band, umbenennen. Als
„FKA [formerly known as] twigs“ veröffentlicht sie nun in diesen
Tagen ihr Debütalbum. Dieser Anlass führt sie nach Berlin, um der
deutschen Presse erste Interviews zu geben. Die 1988 als Tahliah
Barnett Geborene wirkt dabei fern von Star-Ambitionen, eher wie
jemand, der etwas anders tickt, der Kraft und Glück hatte, sich
nicht verbiegen zu lassen. Trotz ihrer Liebe für auffällige Looks,
ein zurückhaltender Mensch und so bald mit dem Image des
Stubenhockers versehen: „Die Medien verpassen dir gerne ein
Image, so entstand das Bild der Introvertierten. Ich bin Einzelkind
und war das einzige mixed race Mädchen in der
Schule. Beides verstärkte, dass ich mich eher mit mir selbst
beschäftigte, statt mich an etwas zu hängen, bei dem man sich am
Ende doch nur schlecht fühlt.“
Die
zentrale Figur des Pop ist der Aussenseiter, wir haben dies nur
zusehends vergessen. Insbesondere, wenn so ein Aussenseiter kein
Feindbild artikuliert. Den Eltern etwa dankt FKA twigs. Guter Ton,
besonders im heutigen R&B mit seinen Strebertypen. Doch wenn man
ihr zuhört, versteht man. Keine engagierten Antreiber, die den
Tagesplan ihres zukünftigen Karrieristen durchplanten, sondern
Eltern, die Freiräume liessen, Selbstbewusstsein vermittelten und
die erträumte klassische Tanzausbildung ermöglichten: „Ich
verstand durch das Tanzen, dass in einem Stück alles möglich ist,
man kann plötzlich das Tempo variieren oder die Sounds, man ist
frei, muss nicht allen Details des Songs folgen. Das gab mir einen
anderen Blick auf die Grenzen, an die sich so vieles in der Popmusik
hält.“
Nicht
oft vermag ein Künstler sein Tun so genau zu erklären. Doch in
ihrem physischen Verstehen der Musik, erkennt man die langsamen, gar
nicht so eingängige Stücke. Vertonter Tanz, nicht Tanzmusik,
sondern die beweglichen Skulpturen des Ballets, zurück in Musik
überführt. Klingende Charaden. In der damit gestifteten Verwirrung
lagen Assoziationen zur jungen Kate Bush nah. Erst
kürzlich, in Sendungen zu Alfred Biolkes 80. Geburtstag, konnte man
wieder jenen Moment erleben, als die 19 jährige Kate anno 1978 in
„Bios Bahnhof“ exzentrisch tanzend „Wuthering Heights“
vortrug und eine Weltkarriere begründete. Doch FKA twigs
wird wohl nie, wie kürzlich Bush, 22 Shows im Londoner Hammersmith
Apollo innerhalb von 15 Minuten ausverkaufen, sie ist auch kein
musikalisches Wunderkind. Da ist etwas anderes was sie ausmacht,
gestischer vielleicht. Ihre Teenager-Helden waren die „New
Romantics“ der frühen 80er. Jene Clubkultur, mit der Ex-Punks
einen extrem artifizellen Glam schufen, mal spielerisch wie Adam &
the Ants, oft düster wie Visage, doch stets bemüht, möglichen
Festlegungen zu entkommen. Hier assoziiert sich FKA twigs: „Die
New Romantics konnten heute so, morgen so stylen und geben, gerade
wie es der Stimmung entsprach. Ich denke diese experimentelle
Freiheit habe ich mir bewahrt. Ich denke was blieb ist, daß ich
Flamboyant sein kann, wann immer ich mag, ob im Sound oder als
Ästhetik. Eine Freiheit die ich bei Malcolm McLaren oder Siouxsie
and the Banshees fand.“
Eine
unwillkürliche Assoziation
erinnert an das (noch nicht sehr neu romantische) Debüt-Album von
Siouxsie and the Banshees: „The Scream“. Ein monolithisches
Manifest, so eingebunden wie fremd in seiner Welt des Jahres 1978.
Ein eigener, anfangs gleichförmig scheinender und sich dann
zusehends öffnender Kosmos, so wie FKA twigs nun erscheinendes
erstes Album. Das Young Turks Label (zu Geld gekommen mit der Band
The XX) lies ihr den Freiraum, den eine große Plattenfirma einer
junge Frau mit ihrer Stimme und Charisma
nie zugestanden hätte. Man denke an ein vergleichbares Internet
Phänomen, die Sängerin und Rapperin Azealia Banks. Nach ihrem Stück
„212“ anno 2011 wie wild umworben, unterschrieb sie bei Universal
Music. Die Veröffentlichung eines Albums wurde dann nahezu zwei
Jahre hinausgezögert, sicher begleitet von endlosen Meetings zu
Stilfragen und Hitpotenzial. Am 11. Juli diesen Jahres verkündete
die Künsterin, ihr Vertrag sei aufgelöst und sie endlich frei.
Das
Neue an Azealia Banks Stil war eine Referenz an die ganz frühen
90er, die Kultur des Vogueing und den kurzlebigen Stil Hip-House.
Darüberhinaus präsentierte sie sich nicht so fern der stereotypen
Bling Bling Kultur des R&B. Anders FKA twigs. Mag es an der seit
jeher größeren Offenheit britischer Pop-Kultur liegen, am
Identitätenspiel der New Romantics oder am Rolemodel jener Szene,
der sehr jungen und nicht weniger eigensinnigen Annabella Lwin, einst
Sängerin der Band Bow Wow Wow, deren Look
FKA twigs als Teenie revivalte. Eine Prägung jenseits der Welt aus
Gucci Accessoires, eher dem verbunden, was New Romantic Veteranen
veranlasste, einen Blog mit Photos aus alten Tagen „The Dangers of
going home“ zu betiteln. „Oh, ja! Das stimmt genau! Ich lebte
im Süden von London. Meine Freunde und ich gerieten oft in
Auseinandersetzungen, ich bin dann in den Kiosk an der Ecke geflohen
und der Besitzer eskortierte mich heim, wenn ich verfolgt wurde. Am
Ende zeigt es nur, ob Du die Intoleranz der Anderen
ertragen kannst.“
Solch
ein Leben kennt andere Statements des Selbst, als sie der R&B in
den vergangenen Jahren zu bieten hatte. Nicht die Toughness der
jungen Frau, die sich alles selber kaufen kann, nichts, was sich so
einfach etikettieren liesse, dafür eine neuer Sound: „Das
hat mitunter fast was irres, da scheint es mir, als gäbe es eine
unendliche Kraft in der Musik, aber das muss ich nicht proklamieren,
in dem ich davon singe, wie unabhängig ich doch sei. Ich denke es
ist offensichtlich das ich ein starkes Mädchen, na, fast Frau, bin.
Ich schreibe meine Stücke, produziere sie und bin der Regisseur
meiner Videos und ich habe meinen eigenen Stil geschaffen. Ich fühle
mich auf eine ruhige Art sehr selbstbewusst in dem, was ich mache,
aber ich denke Verletzlichkeit ist sexy. In dem Moment, in dem Du sie
zugibst, zeigst Du zugleich Stärke.“
So
macht es ihr nichts, sich als Lernende zu beschreiben, die von der
Zusammenarbeit mit Leuten wie mit dem hippen venezolanischen
Produzenten Arca und ihrem Labelkollegen Sampha profitiert und jeden
Tag Neues in den Möglichkeiten der Software Ableton entdeckt. Sie
weiss, dieses Album ist ein Statement. Aber eines in den Regeln von
Pop, nicht denen der Universität oder der Politik. So kreist man um
diese sonische Fragilität, um das was sie andeutet und nicht
explizit sagen mag. Ein Leichtes, sie in ihrem Nicht-Entsprechen
anzugreifen, ihr die Ambivalenz der Videos oder die Passivität in
manchen Texten vorzuhalten. Doch genau das ist Pop: Er überwindet
dogmatische Zuschreibungen, rüttelt an Identitäten und versetzt
Grenzen. Dabei ist sie nicht ganz allein, man
findet das Zerbrechliche im Sound des Projekts Paco Sala und das
Düstere beim kanadischen Duo Evy Jane, Spuren sogar im weit
rustikaleren R&B der kalifornischen Chart-Hoffnung Banks.
Doch
lange keine Musik mehr gehört, die so wenig passt, sich Genres
entzieht und so das Herz der Popmusik schlagen lässt: das Recht, auf
sich selbst, das Recht, nicht zu passen. FKA twigs erfindet sich, wir
hören und schauen ihr zu, vielleicht erweitert sie dabei sogar ein
wenig unsere eigene Welt.
Donnerstag, 24. April 2014
Donnerstag, 10. April 2014
Leben nach Waterloo
Sie verloren jede Schlacht. Auch wenn einer so tat, als hätte er gewonnen, war es dem distanzierten Beobachter ein Leichtes zu erkennen, daß die Zeit gegen sie war; chancenlos dem Morgen ausgeliefert, fochten sie mit versteinertem Eifer, grimmige Männer, alte, verbissene, harte Männer, deren Überzeugungen nicht zueinanderpassen wollten. Sie stritten, wie man stritt in den letzten Jahren des Zeitalters der Überzeugungen, längst geweiht, alsbald der Zeit der Meinungen zu weichen.
Diese tolle Flexibilität der Meinungen, wie gerne hätte Hans Dietrich Genscher von ihr schon profitiert, als er sich verantwortlich zeigen musste, im Namen einer neuen Überzeugung. Ja genau, die grimmigen Männer betrieben allesamt Politik und ich sah ihnen als Kind zu, natürlich ohne von der neuen Zeit auch nur zu ahnen. Manchmal rollten Panzer. Ich fand es interessant und verstand nichts. Aber die Suggestivkraft des Fernsehens liess mich eine Nacht nicht schlafen, weil ich Angst hatte, die RAF würde mich entführen. Daß sie das nicht vor hatten, kapierte ich ein paar Jahre später. Um zu verstehen, daß Genscher nicht in erster Linie einen Helmut gegen den Anderen, den Spiessigen, den mit der unangenehmen Ausstrahlung, austauschte, brauchte ich doch ein paar entscheidende Jahre mehr. Diese (markt-)ideologische Zeitenwende war vielleicht zu leise in der Welt des Kalten Kriegs oder ich hoffte später ganz naiv, es wäre nur so eine Phase, eine dumme, destruktiv grinsende, jugendliche Phase.
Es ist interessant, daß in den aktuellen Zeitungskommentaren diese grimmigen Männer der alten Zeit, sowie ihre Verwalter, die sorgenernsten Nachrichtensprecher, auftauchen, geht es doch eigentlich um das Ende einer Unterhaltungsshow. Eine Show allerdings, deren Konzept genau auf jener Zeitengrenze fusste, einst ihre Stärke, dann eines Tages, ihr Verhängnis.
Natürlich hat Christian die Wette
damals gewonnen
Genauso steht es in einem Text der Süddeutschen Zeitung - zumindest in der Mobilversion des Texts. Während also die FAZ noch etwas dezidierter auf die Welt der Babyboomkinder verweist und den „Generation Golf“-Autor erwähnt, der doch eigentlich schon zwei Jahre zu jung für die Boomer-Generation ist, aber einst von seinen „Wetten dass“ Erinnerungen geschrieben hat, huldigt die SZ der Sprache.
Vielleicht wollten diese zwei versgleichen Zeilen, wie sie da so allein, zwischen den Absätzen standen, an Deutschstunden erinnern, an moderne Lyrik, die wir nicht leiden konnten und dann doch in oft recht jungem Alter nach noch Wilderem suchten, als es uns die Lehrer vorsetzten. Reimen musste es sich nicht, soviel war gelernt. Und ein Christian wurde bald sogar ein guter Ratgeber bei dieser Suche. Dabei war er noch älter als die alten Männer. Aber wie die SZ erwähnt, lernte man als Kind jener Zeit bei Joachim Kulenkampff durchaus, daß es auch andere Typen des „alten Mannes“ gab, solche, deren Macht in ihrem Charme lag und die offenen Visiers mit Geheimnissen hantierten. Doch ich schweife andauernd ab, geht es doch erstmal weder um einen seit hundert Jahren Toten, noch um einen vor fünfzehn Jahren Verstorbenen, sondern um eine sterbende Fernsehsendung. Wie lange sie schon stirbt, darüber wird derzeit debattiert, doch nun ist ihr Tod angekündigt. Fernsehsendung statt avantgardistischer Lyrik. Zurück zum Alltag: Bald kein „Wetten dass“ mehr, kein montäglicher Schulhofplausch oder kein sonntägliches Lästern im Net.
Herr Lanz, der diese Sendung nahezu erleichtert abmoderierte, soll später kommentiert haben, die Zeit heute sei „zu kalt“ für diese Art des Fernsehens. Überzeugungen sind kalt, Meinungen sind kälter und Herr Lanz, wir, Du, ihr, sie, ich sind in jene Kälte involviert. Wenn wir uns nicht von den Träumen der Kindheit oder Jugend bewegt, infolge gewonnener Überzeugungen oder (ursächlich) erlittener Verletzungen, gegen ein erfolgreiches Partizipieren an dieser kalten Zeit entschieden, dann weinen wir der warmen Zeit (mit der wohligen Badewanne des kleinen Florian Illies und ihren TV Abenden im Bademantel) ebenso nach, wie Lanz. Einer, der doch geradezu als Stereotyp jener Kälte erscheinen könnte, die er kritisiert: Stets leistungsbereit und willig, stets einer, der was zeigen will. War nicht auch er ein vielgelobtes Kind? - Bevor ich aber in die warme Badewanne pinkel, mag ich mich doch kurz um die Tränen kümmern, die nun fliessen. Und daß sie im Feuilleton fliessen, bei aller gebotenen Distanz des journalistischen Gestus doch das Papier unversehens durchweichend, daß liegt im Kern jener besagten Kindheit, der ersten in einer vollkommen industriell und medial ausgestalteten Kinderwelt, eine, die nie vorbeigehen durfte. Wenngleich, je früher in den 60ern geboren, desto wahrscheinlicher, daß die Kratzigkeit selbstgestrickter Wollpullis noch gespürt wurde und die kurzen Hosen mit dem einen, schräg angesetzten Hosenträger, nicht nur ein Stilmerkmal im Look von Fix und Foxi waren. Ein letzter Hauch des Nachkriegs, die Mütter, die immer noch den Grauschleier wegwaschen mussten, auch, da sie oftmals zwischen erlittenen Kindheitstraumata und nicht erfüllten Lebensträumen strandeten. Träume, je greifbarer, desto mehr ihr eigenes Leben schon von der Jugendkultur berührt war. Doch die oft zitierten Hippieeltern gab es in dieser Generation noch höchst selten, der kratzige Pulli war von Oma gehäkelt, ökologisch wiederständige Strickware kam erst noch. Kein Zeigefinger mahnte, solange der Fernseher nach der Sesamstraße nur schnell genug ausgeschaltet wurde. Doch selbst im Angesicht der Nachrichten oder Hoimar von Ditfurths dringlichem Impetus bleib die kleine, von Aussen nun offensichtlich bedrohte Welt ein heimeliger Ort. Ein Ort der Umsorgtheit, voller, aus behüteter Kinderperspektive stets irgendwie realisierbarer Sehnsüchte: MG präsentierte die Träume eines jeden neuen Weihnachten, mit 3 Musketiers fochte man den Rest des Jahres an der Seite Wickies oder träumte mit Malibu Barbie vom Brechen der Wellen an der kalifornischen Küste. Irgendwas, das Psychologen und Soziologen gerne noch in empirischen Untersuchungen benennbar machen dürfen (und vielleicht sollten), knüpfte uns an diese Kindheit und so manchen auch an die Jugend, nebst ihren pathetischen Gegenthesen zur, als scheinheilig enttarnten Wärme. Vielleicht klammern diejenigen sogar mehr, welche die Doppelbödigkeit dieser Welt im Kleinen erfahren durften. Noch war Scheidung ein Skandal und Andrea Jürgens sang für uns: „Und dabei liebe ich euch beide“. Da war Zusammenraufen angesagt, Augen zu und durch, was sollen denn die Nachbarn denken? - Ob der kleine, später so wütende, Kurt etwa noch leben würde, wenn seine Eltern sich das Lied zu Herzen genommen hätten? Aber sie waren ja Amerikaner, hätten das Lied gar nicht verstanden, so wenig, wie Tom Hanks jene komische Show. Und ja, schon wieder war ich dabei abzuschweifen.
Doch tatsächlich war es wohl auch die Popmusik, die noch in ihrer Hochphase voller Ideen sprühte, welche den Blick auf das zu erwartende Leben massgeblich prägte, bis es sich für einige sogar in ihr realisierte. Mit ihrem zweiten Moderator, dem gelockten Thomas, bekam die Sendung sogar ein wirkliches Kind dieser Rock Generation als Erziehungsberechtigten (immerhin: er hatte auf Lehramt studiert) und wenn er seine Kumpels Status Quo ansagte, dann klang es, als müsste da etwas unfassbar Wildes kommen. Doch die Kinder, die Frank Elstner noch montagsmalend ins Bett gebracht hatte, wussten zu jener Zeit schon längst um den wirklichen Status Quo. Bevor sie starb, siechte die Sendung sehr lange und dabei sondergleich tapfer, denn sie war nun wie die Erinnerung an den Duft des Tannenbaumes am ersten Weihnachtstag, voll der Assoziationen an frisch ausgepackte Wunderdinge unter den Leuchtkerzen oder schon aufgebaut, auf dem Wohnzimmertisch.
Wir saßen irgendwo im Reich des Lebens ...
Wir saßen an zwei Tischen, hier und dort.
So schrieb Christian Morgenstern. Für uns stand der andere Tisch etwas ungünstiger, es zog in den Rücken oder man sah wieder die alten Männer im Fernsehen. Oder ein Lehrer stand davor, der mit dem Kreidestück auf dumme Träumerstirnen zielte. Vielleicht ging dem Träumer gerade ein Popsong durch den Sinn, nahm ihn so ganz und gar ein und bescherte eine bessere Welt.
And I dream I'm an eagle
And I dream I can spread my wings
Weil diese ebensowenig vergehen mag, wie erwähnte Kindheit, strahlte das ZDF am selben Abend noch eine ihrer „Kultnächte“ aus, die schon im Titel die Zielgruppe zwischen 40 und 75 klar fixiert. Die Nacht war ABBA gewidmet.
... Pardon ...
Es bedarf nämlich eines Moments der Überwindung und wenn ich mich drauf einlasse, versuche ich mich stets an der Option des distanzierten Genießens oder der sophisticateten Wahrnehmung kleiner, bislang vielleicht übersehener Details - doch ich erreiche das sokratische Niveau nie, leide bitterlich mit Antigone und Haimon (hiess er nicht eigentlich Baimon?), erst recht da ich ja weiß, wie es endet. Zeigen sie noch die letzte Session? Die mit der kurzen Version von „Thank you for the music“. - Nein, zeigten sie nicht, aber eine mit Olivia Newton John und Andy Gibb. Auch wenn die vier Schweden aus dem Folk Rock kamen, waren ABBA auf der Suche nach mehr Erfolg in den USA keine lässigen Jam-Partner. Jede Geste wirkt unbeholfen oder wie einstudiert, Anni-Frid mag, nachdem Olivia Newton-John stets die Songs vorgibt, klar stellen, wer hier die Sängerin ist und karikiert behände einen operettenhaften Sopran, als sie ihren Triumph längst hat, veralbert sie die eigene Geste noch schnell, so, wie es beim lockeren Jammen ja sein muss, nur keine Ambition. Doch Anni-Frid ist kein ewiges Kind, keinem des Quartetts stünde diese Rolle. Es scheint vielmehr, als fühlten sie sich (im Unterschied zu den Wetten Dass Kanditaten) von der selbstgestellten Aufgabe beleidigt. Zu Recht, auch wenn sie von kalifornischer Eleganz lernen würden, besaßen sie Material, für das Paul Kantner oder David Crosby in den späten 70ern ihre Freak Flag verkauft hätten. Sie hatten gar, was Steely Dan fehlte und sie wussten, wie man damit Geld macht. Und sie schwangen sich im Gleichtakt mit den Grateful Dead von einer progressiven Phase zu Disco. Hier vermochten sie seit den ersten Takten von „Dancing Queen“ stets etwas besonderes: Sehnsüchte vertonen. Als Folk Band lernten sie miteinander zu singen, waren aber dritte Liga, erst Glam Rock liess sie auftrumpfen. Und wie sie dann mit seinen Mitteln an einem denkwürdigen europäischen Abend des Jahres 1974 alles wegfegten! Geschichte war nun die gerade noch lebendige Tradition eines längst erwachsenen Songwritings, welches seine letzten Verfeinerungen in berückender Schönheit präsentierte. Man höre nur die ausarrangierte Eleganz des zweitplatierten Titels „Si“ von Gigliola Cinquetti. Doch auch ihre Stimme erreicht Wolke Sieben mittels produktionstechnischer Tricks, sanft gedoppelt schimmert sie überweltlich. Man könnte fast mutmassen, Björn Ulvaeus und Benny Andersson hätten hier genau zugehört und erkannt, was aus dem bereits so zauberhaften Miteinander der Stimmen von Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad noch entstehen könnte. Und dann bald: diese Stimmen im unerhört dramatischen Disco Glanz! Und wovon singen sie? - Alle Versuche abzuschweifen helfen nicht, ABBAs unvorgesehenes Schicksal, die ganz persönliche Tragödie in eine junge Popmusik einschreiben zu müssen, die auf diese Singer-Songwriter-Unmittelbarkeit gar nicht vorbereitet war, reisst mich stets aus der distanzierten Betrachtung. Das war ihre Arbeit: Knowing me, knowing you. Dabei fehlen in jener „Kultnacht“ Lasse Hallströms Kunstfilm-Videos, also auch jene Szene, in der die einsame Agnetha in One of us „Music from Big Pink“ von The Band aus ihrem Plattenstapel zieht. Dieser bedeutungsreiche, rührende Moment bleibt mir erspart. Doch der verwirrende Ernst von The day before you came, seine nachtblaue Dunkelheit in der doch gar kein Stern zu erkennen ist, verfolgt mich auch noch in den kommenden Tagen. Oder ist es das Ende einer Kindheit? Nicht vermeintlich materialisiert im Abgesang einer Sendung, sondern als stärkere Ware: Popsongs, innere Unruhe, nicht mehr dahin zurück können, wo sie so richtig waren und verloren sein, in ihrer neuen Richtigkeit.
Tatsächlich sitzen wir noch heute zwischen zwei Tischen. Keine Sorge, beide sind gut gedeckt, der Eine mit Brot und allen möglichen Aufstrichen vom Nutellatraum bis zur Paprika-Cashew-Vitalität, der Andere mit Kuchen und dem Kopf einer eleganten Österreicherin, dargeboten in einer mit Sägespänen ausgelegten Rieslingkiste. Über einen geschickten Spiegelmechanismus können wir diesen Kopf scheinbar auf unseren Körper setzen, wir müssen bloß kurz aufstehen und uns nach vorne beugen. Sollte der Schrecken dieses Spaßes zu arg verwirren, bringt uns ein kariertes Känguru umgehend einen neuen Zauber. Ein ewiges Gestern aus Gimmicks, Heftchen und dem Fernsehen. Kein Neil Postman hat hier abschätzig über die Flimmerkiste zu reden, will er seinen Kopf auf den Schultern behalten. Eure Ökopullis waren nicht für uns! Denn wir lernten von einem anderen Zauber als ihn der Bilderrahmen oder das Kasperletheater zu bieten vermochten. Und nur die Musik brachte den ein oder Anderen für Momente weg davon oder doch die leeren Bilderrahmen oder die Karriere. Bei alldem haben wir an all das gedacht, woran wir denken konnten, wir haben uns bemüht unseren Vorbildern nachzueifern, denn etwas Eigenes ist uns nicht eingefallen. Mag sein, daß es uns auf dem Weg auch gelungen ist, die Posen des Erwachsenen einzunehmen. Aber egal ob als zynischer Yuppie oder versteinerter (Nicht-)Ex-(weil-immer-und-ewig-)Punk, ob mittels Lebenserfahrung imitierender Psychologisierungen, als strebsamer Meisterschüler, sich aufgockelnder Agentur-König oder gar in staatstragender Bedeutungsschwere, ich würde keinem von uns auch nur einen Satz abkaufen.
Ach, einen Epilog gibt es auch noch. Es spricht Hans-Joachim Kulenkampff:
Als Kind ist einem doch die Welt ziemlich klar - und wenn man stirbt, weiß man gar nichts.
Top, die Wette gilt!
Oliver Tepel
Quellen:
FAZ
SZ
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Pop,
Second Order Hipness,
Wetten Dass
Mittwoch, 29. Januar 2014
Das Wort und die Axt - Pete Seeger 1965
Er spürte was kommen würde. Und so schwang Pete Seeger die Axt. Wie wütend muss er ausgesehen haben und wie verzweifelt, als er 1965 auf dem Newport Folk Festival die Leitung zum Gitarrenverstärker Bob Dylans kappen wollte. Allein, er wollte nur, denn wie jeder andere auf dem Newport Folk Festival, trug auch er kein Beil mit sich herum. Er machte vielmehr wohl nur einen zornigen Kommentar, in Anlehnung an sein eigenes Stück „If I had a hammer“.
Es war Dylans erster und daher bald legendärer Auftritt im neuen Sound. Bis heute spekulieren die Zeitzeugen und Historiker, wer, aus welchen Gründen buhte, auch das gehört zum Mythos, wenngleich die Buhrufe tatsächlich überliefert sind. Denn auch Andere, im Publikum, aber auch Musiker wie der große britische Folk Sänger Ewan McColl, kritisierten Dylan für seinen neuen musikalischen Kurs, sowie jene, die ihm zujubelten. „Nourished on the watery pap of pop music“, schrieb McColl über die in seinen Augen komplett unkritischen Fans. Nicht nur Seeger verstand den Moment. Aber es ist nicht von ungefähr, daß er zum Symbol dieser Trennung wurde, eine Trennung, die keines Beilhiebs bedurfte. Später war es ihm unangenehm. Er sagte, er habe sich nur daran gestört, daß man Dylans Stimme nicht mehr hören konnte. Es ist nicht schmeichelhaft, wenn Andere, wie Peter Yarrow oder Joe Boyd seine Version revidierten, sich aber stets mit einem gewissen Respekt zurückhielten, während sie die tatsächlichen Umstände andeuteten, nicht schmeichelhaft auch für sie selbst. Andererseits: sie waren alle für eine andere Welt und diese Welt schien vielen auf einmal greifbar, ohne Krieg, sondern mit der Energie, welche die Beatles freisetzten. Verständlich, daß Dylan daran teilhaben wollte. Aber dieser neue Sound war eben nicht alleine Mittel zum Zweck, sondern das Medium war die Nachricht: elektrisierend.
Pete Seeger hatte allen Grund zum Zweifel. Er hatte für die kommunistische Bewegung in den USA gekämpft, für streikende Arbeiter und Kriegsgegner, war ausgegrenzt und gar verfolgt worden, selbst als Patriot im Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland. Da sangen er und Woody Guthrie mit ihrer Band, den Almanac Singers „Round and Round Hitler’s Grave“, doch die Rechten in den USA wähnten sogar hier Unterwanderung. Als Woody Guthrie 1943 „This machine kills fascists“ auf seine Gitarre schieb, nahm er rebellische Pop Posen um zwei Jahrzehnte vorweg. Nur, für ihn war es keine Pose, wenngleich er mit seiner Gitarre wahrscheinlich keinen einzigen Faschisten getötet haben wird, so war sie eben doch eine Maschine, ein Werkzeug. Und ein Song war eine Ansammlung von Werkzeugen, ein Apparat, der das Denken verändern sollte. Daß dieser Apparat auch die Sinne, den Wunsch, Lieder mitzusingen oder gar zum Klang der Musik eine gute Zeit zu haben, miteinschloss, war bekannt. Die darin verborgenen Widersprüche wusste der karge und klassizistische Folk jener Tage gut vor sich selber zu verbergen. Die emotionale Wirkung, sie wurde verstanden, gesucht und gefürchtet zugleich.
Aber die hieraus resultierende Zurückhaltung verging nun, nach den Beatles oder präziser, als das gefeiertste Talent einer neuen Generation des Folks, einer der Jungen, welche die Fackel weitertragen sollten, überlief. Nicht allein zu einer neuen Generation von Maschinen, sondern auch zu dem, was sie verhiessen: den großen Spaß und vor allem: das große Ich!
Man kann darüber debattieren, ob Pete Seegers Ich nicht auch groß genug war, denn seine Popstarkarriere wurde 1953 jäh unterbrochen, nachdem er 1950 mit den Weavers schon wochenlang an der Spitze der Charts verbracht hatte. Der Staat war gegen ihn, die großen Radiostationen spielten seine Musik nicht mehr und die Weavers waren bald am Ende. Um so bekannt zu sein, wie er war, musste Seeger bereits in das Popgeschäft, auch wenn er den Folksong als etwas begriff, was man zusammen singen sollte um ihn am Leben zu erhalten, zu erneuern und vor allem, um Gemeinschaft zu schaffen. Doch er misstraute der Popwelt, trennte sich von den Weavers, weil diese wohl bereit waren, für einen Zigarettenspot zu musizieren. Pop, das Radio und die Platten machten den Weg zu einer besseren Welt nicht weniger zäh.
Tatsächlich glaube ich, daß der in Newport wütende Seeger dies so sah. Vielleicht war es nicht der Lärm der neuen Musik, sondern die Tatsache, daß es den Musikern offenbar auch gefiel, daß man ihr Wort nicht mehr verstand. Gut, das traf nicht auf Dylan zu, der selber mit dem Klang in Newport unzufrieden schien, aber vielleicht war es der Sound dieser elektrifizierten Pop Musik, welche nun auch die Idee der Revolution an sich riss. Es stand nicht mehr die Kraft einer kargen, aber aufrichtigen und mitunter auch mitreissenden Folkmusik gegen den süßlichen Schein ausarrangierter Traumweltlieder, sondern ein enormes Rauschen und Brummen zu einem treibenden Beat übertönte energetisch die Stimme dessen, der was zu sagen hatte. Und die neuen Stimmen, was sagen sie? - Ich, ich, ich!
Das schlechte Gewissen mag Seeger gepackt haben, da diese Stimmen bald auch von der Revolution kündeten und mehr junge Menschen ein neues Leben wagten, als er sie je erreichen konnte. Doch eigentlich hatte er Recht und er wusste es auch, wenn er in späteren Jahren vor allem den ganz jungen Dylan wertschätzte, denn das Ich! war nicht mehr aus der Musik wegzubekommen. Die alte Distanz, die klingende Nachricht, die Stimme, welche den Klassenkampf trägt, wurde innerhalb weniger Jahre zu einem „Dancer in the dark“. Nun ist Pete Seeger nicht mehr unter uns. Er war der letzte Zeuge dieser Welt vor der Machtübernahme des Pop. Er wusste sehr wohl, was Menschen bewegte, er berichtete Baynard Woods vom „City Paper“ noch im letzten Jahr über seinen Einfall, ein Lied über Harmonien von Beethovens siebenter Symphonie zu singen und wie die Harmonien ihn an Slawische Lieder erinnerten. Was die Kraft der Musik sei, daß sei ihm immer noch rätselhaft, meinte er einige Jahre zuvor. Daß ihre Energie aber etwas bewirken kann, dafür lebte er. Wie diese Energie die Ziele der Kultur, die er vertrat und die er in Newport versammelt wusste, zerstören kann, das wird er 1965 verstanden haben, als er hörte, wie der Sound das Wort ablöste.
In Memoriam Peter "Pete" Seeger *3. Mai 1919 † 27. Januar 2014.
Es war Dylans erster und daher bald legendärer Auftritt im neuen Sound. Bis heute spekulieren die Zeitzeugen und Historiker, wer, aus welchen Gründen buhte, auch das gehört zum Mythos, wenngleich die Buhrufe tatsächlich überliefert sind. Denn auch Andere, im Publikum, aber auch Musiker wie der große britische Folk Sänger Ewan McColl, kritisierten Dylan für seinen neuen musikalischen Kurs, sowie jene, die ihm zujubelten. „Nourished on the watery pap of pop music“, schrieb McColl über die in seinen Augen komplett unkritischen Fans. Nicht nur Seeger verstand den Moment. Aber es ist nicht von ungefähr, daß er zum Symbol dieser Trennung wurde, eine Trennung, die keines Beilhiebs bedurfte. Später war es ihm unangenehm. Er sagte, er habe sich nur daran gestört, daß man Dylans Stimme nicht mehr hören konnte. Es ist nicht schmeichelhaft, wenn Andere, wie Peter Yarrow oder Joe Boyd seine Version revidierten, sich aber stets mit einem gewissen Respekt zurückhielten, während sie die tatsächlichen Umstände andeuteten, nicht schmeichelhaft auch für sie selbst. Andererseits: sie waren alle für eine andere Welt und diese Welt schien vielen auf einmal greifbar, ohne Krieg, sondern mit der Energie, welche die Beatles freisetzten. Verständlich, daß Dylan daran teilhaben wollte. Aber dieser neue Sound war eben nicht alleine Mittel zum Zweck, sondern das Medium war die Nachricht: elektrisierend.
Pete Seeger hatte allen Grund zum Zweifel. Er hatte für die kommunistische Bewegung in den USA gekämpft, für streikende Arbeiter und Kriegsgegner, war ausgegrenzt und gar verfolgt worden, selbst als Patriot im Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland. Da sangen er und Woody Guthrie mit ihrer Band, den Almanac Singers „Round and Round Hitler’s Grave“, doch die Rechten in den USA wähnten sogar hier Unterwanderung. Als Woody Guthrie 1943 „This machine kills fascists“ auf seine Gitarre schieb, nahm er rebellische Pop Posen um zwei Jahrzehnte vorweg. Nur, für ihn war es keine Pose, wenngleich er mit seiner Gitarre wahrscheinlich keinen einzigen Faschisten getötet haben wird, so war sie eben doch eine Maschine, ein Werkzeug. Und ein Song war eine Ansammlung von Werkzeugen, ein Apparat, der das Denken verändern sollte. Daß dieser Apparat auch die Sinne, den Wunsch, Lieder mitzusingen oder gar zum Klang der Musik eine gute Zeit zu haben, miteinschloss, war bekannt. Die darin verborgenen Widersprüche wusste der karge und klassizistische Folk jener Tage gut vor sich selber zu verbergen. Die emotionale Wirkung, sie wurde verstanden, gesucht und gefürchtet zugleich.
Aber die hieraus resultierende Zurückhaltung verging nun, nach den Beatles oder präziser, als das gefeiertste Talent einer neuen Generation des Folks, einer der Jungen, welche die Fackel weitertragen sollten, überlief. Nicht allein zu einer neuen Generation von Maschinen, sondern auch zu dem, was sie verhiessen: den großen Spaß und vor allem: das große Ich!
Man kann darüber debattieren, ob Pete Seegers Ich nicht auch groß genug war, denn seine Popstarkarriere wurde 1953 jäh unterbrochen, nachdem er 1950 mit den Weavers schon wochenlang an der Spitze der Charts verbracht hatte. Der Staat war gegen ihn, die großen Radiostationen spielten seine Musik nicht mehr und die Weavers waren bald am Ende. Um so bekannt zu sein, wie er war, musste Seeger bereits in das Popgeschäft, auch wenn er den Folksong als etwas begriff, was man zusammen singen sollte um ihn am Leben zu erhalten, zu erneuern und vor allem, um Gemeinschaft zu schaffen. Doch er misstraute der Popwelt, trennte sich von den Weavers, weil diese wohl bereit waren, für einen Zigarettenspot zu musizieren. Pop, das Radio und die Platten machten den Weg zu einer besseren Welt nicht weniger zäh.
Tatsächlich glaube ich, daß der in Newport wütende Seeger dies so sah. Vielleicht war es nicht der Lärm der neuen Musik, sondern die Tatsache, daß es den Musikern offenbar auch gefiel, daß man ihr Wort nicht mehr verstand. Gut, das traf nicht auf Dylan zu, der selber mit dem Klang in Newport unzufrieden schien, aber vielleicht war es der Sound dieser elektrifizierten Pop Musik, welche nun auch die Idee der Revolution an sich riss. Es stand nicht mehr die Kraft einer kargen, aber aufrichtigen und mitunter auch mitreissenden Folkmusik gegen den süßlichen Schein ausarrangierter Traumweltlieder, sondern ein enormes Rauschen und Brummen zu einem treibenden Beat übertönte energetisch die Stimme dessen, der was zu sagen hatte. Und die neuen Stimmen, was sagen sie? - Ich, ich, ich!
Das schlechte Gewissen mag Seeger gepackt haben, da diese Stimmen bald auch von der Revolution kündeten und mehr junge Menschen ein neues Leben wagten, als er sie je erreichen konnte. Doch eigentlich hatte er Recht und er wusste es auch, wenn er in späteren Jahren vor allem den ganz jungen Dylan wertschätzte, denn das Ich! war nicht mehr aus der Musik wegzubekommen. Die alte Distanz, die klingende Nachricht, die Stimme, welche den Klassenkampf trägt, wurde innerhalb weniger Jahre zu einem „Dancer in the dark“. Nun ist Pete Seeger nicht mehr unter uns. Er war der letzte Zeuge dieser Welt vor der Machtübernahme des Pop. Er wusste sehr wohl, was Menschen bewegte, er berichtete Baynard Woods vom „City Paper“ noch im letzten Jahr über seinen Einfall, ein Lied über Harmonien von Beethovens siebenter Symphonie zu singen und wie die Harmonien ihn an Slawische Lieder erinnerten. Was die Kraft der Musik sei, daß sei ihm immer noch rätselhaft, meinte er einige Jahre zuvor. Daß ihre Energie aber etwas bewirken kann, dafür lebte er. Wie diese Energie die Ziele der Kultur, die er vertrat und die er in Newport versammelt wusste, zerstören kann, das wird er 1965 verstanden haben, als er hörte, wie der Sound das Wort ablöste.
In Memoriam Peter "Pete" Seeger *3. Mai 1919 † 27. Januar 2014.
Donnerstag, 23. Januar 2014
Oh dear! Oh dear! I shall be too late! - Musikliste 2013
Die Erwartungen waren groß und sie wurden ein klein wenig enttäuscht. Doch ich genoss es schon allein, große Erwartungen zu haben oder wieder Freude auf Konzerten. Etwas müde setzte 2013 Ideen fort, die in den Jahren davor angedacht wurden. Zugleich scheinen sich einzelnene Namen zu etablieren, ein Prozess der Erosion. Ein gemeiner Effekt des Alterns, man meint, Regeln zu erkennen, ahnt die Fragilität all der Illusionen aus denen Pop nunmal besteht. Komplett? Keine Ahnung.
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LP's
1. These New Puritans - Field of Reeds (Infectious)
Schlafwandlerisch, ja bewusst undeutlich, singt Jack Barnett umkreist von Waldhörnern, ein Chor antwortet lautmalerisch. Nur selten attackieren harte Beats, gleich der Windböe im Field of Reeds, die Ruhe aus der hier alles erwächst. Keine friedliche Ruhe.
2. Lucrecia Dalt - Syzygy (HEM)
Rhythmen, die emsigen Insekten gleich durch die Stücke huschen. Derweil hypnotisiert uns Dalts schlafwandelnde Stimme. Musik gemacht, um sie des Nachts in dunklen Räumen zu erleben, irgendwo glimmt eine LED oder Röhren flackern blass.
3. Julia Holter - Loud City Song (Domino)
Einbruch des Weltlichen. Befremdet, gleich einer Zeitgereisten, wandelt Julia Holter durch die wohlhabenden Vororte von Los Angeles. Dennoch bleibt sie selbst die Fremde, fern der Unmittelbarkeit einer Soulsängerin, aber mit einer subtil bewegenden Vision.
4. Braids - Flourish // Perish (Arbrutus/Full Time Hobby)
In glockenklarer, aber durchaus fein nuancierenden Eleganz tanzt Raphaelle Standell-Prestons Gesang sowohl durch die freundlichen Stücke der „Fourish“ Platte, wie auch die dunkleren Stimungen des „Perish“ Albums. So vermag ein Stück im Club zu tanzen, während der Kopf in den Farben von Pentangles „Reflection“ träumt.
5. Girls Names - The new Life (Tough Love Records)
Unterwegs in einem Wald. Es ist dunkel. Und auch die Bäume blicken trist. Jenseits (oder inmitten?) solcher Kalauer haben sich Girls Names aus ihrer Post C86 Verpuppung befreit und sehr elegante graue Flügel geöffnet. Sie nehmen sich die Zeit, in schönen Pirouetten durch die Nacht zu flattern.
6. Blue Hawaii - Untogether (Arbrutus)
Aber letztlich doch zusammen. Das Paar von Braids in einem so intensiv verflochtenen Werk, daß "Untogether" als Beschreibung eigentlich kaum denkbar ist. Als fragile Glassfigur gestaltete Musik versucht sich an Näherungen. Das ist mehr, als die Eitelkeit vergleichbarer Duett-Alben vor 15 Jahren.
7. Chelsea Wolfe - Pain Is Beauty (Sargent House)
Auch zum Teil eine 90er Idee, diese blutete damals ein in Klischees aus und wird seit einiger Zeit mit Twang Gitarren Klischees einer neuen Generation belegt. Doch eigentlich ist hier wenig sicher, eher ein Weg durch einen Irrgarten aus Eibenhecken. Eine trotz allem zurückhaltende Form der Selbstdarstellung.
8. Naadyn - Galaxy (Phantasma Disques)
Wäre vielleicht auch von dem Gedanken angetan, weniger zurückhaltend zu agieren. Aber als Geisterwesen, was bleibt ihr anderes übrig? Diese seltsame Nischenwelt dieser Daseinsform ist nicht weniger eigentümlich im Musikalischen, oder doch so einfach? Geisterhouse? Sie scheinen darin aber zu tanzen, ab und an.
9. Soft Metals - Lenses (Captured Tracks)
Irgendwas, um sich darauf auszuruhen, irgendwas aus Krautelektronik und Disco aber in einem anderen Kleid oder ist es ein Hosenanzug? Ein unaufdringliches Close Up von jenen, die gekommen waren um zu gehen.
Ausser Konkurrenz: Fear of Men - Early Fragments (Kanine Records)
Erstmal nur die Single Compilation. Nicht "going steady" aber "being exciting". Formal ist das alles so endlos durchgespielt worden, die charmanten Jangle Gitarren, der Mädchengesang, was es ist, daß sie mich weinen machen, ich weiss es selber nicht genau. "Bessere Songs", hätte ich wohl früher behauptet.
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Singles
1. Diana - Perpetual Surrender (Jagjaguwar)
Dieses abstrakte, scheppernde Outro, warum dauert es nicht noch ein paar Momente länger in einem Song, der in so unmittelbarer Maniriertheit davon berichtet, was alles sein könnte, wenn das Empfinden nun nur noch ein paar Sekunden mehr weilt. Welches Empfinden? Na, sag's doch: Sehnsucht - musst Du nicht so rumhadern.
2. FKA Twigs - EP2 (Young Turks)
Rote Lippen, goldener Schmuck und ellenlange Wimpern als mechanischer Apparat? Oder das Geschöpf eines mitleidenden de Sade, vielleicht ein Alien dessen Augen, nachdem sie eine kristallne Träne weinten ins riesenhafte anschwillen oder doch nur das etwas einsame Mädchen aus Gloucestershire?
3. New Jackson - Sat around here waiting (Hivern Discs)
Stimmen wie von verstaubten Nadeln abgetastet zu einer angriffslustigen Tanzflächenmelancholie, die Dir einfach ein Bein stellt, weil sich ja auch darin eine Extase finden ließe. Doch Du wartest, wie immer.
4. Chinawoman - Kiss in Taksim Square (Self released)
Etwas von Borsigs "Hiroshima", so denke ich stets, dabei ist der Hedonismus in der politischen Geste hier bewusst und eigentlich unverfänglich, Freiheit und darin hinein sägende Gitarren. "Wir waren so glücklich"...
5. Les Fils du Calvaire - Femme d'Affaires (Circus Company)
Das war vielleicht gar nicht politisch gedacht und musste dann doch auf Chinawomans Pfad auf eine neue Welle von Ausgrenzungen, nicht nur in Frankreich, antworten. Grimmig aber schon im eigentlichen Anliegen, der Beschreibung des Rumschweifens.
6. JaKönigJa - Ich bin Stoff und du bist Geist (Hanseplatte)
Der schweift auch , aber in Worten durch ein Haus aus Worten. Diese Faccette des Lebens in den alten Gemäuern an den sturmumtobten Hamburger Klippen lässt sich von der eigenen Beschwingtheit nicht ins Bockshorn jagen. Vertraute Fremde.
7. Boy Friend – Secret City EP (Night People)
Tragödien, solche zu denen Tauben weinen hinter den Schleiern, die sich als modisches Accessiore doch eigentlich gar nicht im Klang manifestieren müssten. Dabei verdecken sie hier wirklich, statt zu verschleiern, denn die Dramen leben so vielstimmig, wie auf dem wundervollen Album aus dem Vorjahr.
8. Sampha – Dual EP (Young Turks)
Manchmal dachte ich, das sei nun doch ein Clubtrack oder eine Singer Songwriter Platte, aber es lotet den R&B Rest nur in beide Richtungen aus ohne seine Mitte zu verlieren. So verletzt wie er klingt, fast ein Wunder. Ab und an frag ich mich, was Michael McDonald daraus produziert hätte.
9. Sally Dige – Forget Me / Losing You (Night School)
Das Problem, nicht vergessen zu werden oder was es nur ist, das da an einem zerrt. Auch tausendmal praktizierte Verneblungskunde, im Vorführeffekt aber so nachdrücklich! Schwarze Romantik bei Füssli.
10. Golden Teacher - Bells from the deep end (Optimo)
Zähnefletschend feixend über "Just an Illusion" mit Drahtseilen die Tanzfläche umspannen, falls es später beim weiteren Geschehen zu Stürzen kommen sollte. Es ist wohl mitunter viel besser zu fragen, ob man an die Grenze gehen kann, als diese Grenze wirklich aufzuzeigen.
11. Valentina - Wolves (Greco Roman)
Das Problem, nicht vergessen zu werden, da Fangzähne an einem zerren. Hier die praktizierte Fusion im Nebel der Ereignisse: Werde ich mich verwandeln oder kriegen sie mich? Schwarze Romantik bei Kate Bush.
12. JODY - Magique EP (Self released)
Auch so ein bewusst unfertiger R&B. The Rain revisited, Nieseltränen auf dem Heimweg. So viel Elegie gab es nicht mehr nachdem die Penguins bei 4AD aufgehört hatten. Oder nannten sie sich dann nur M.A.R.R.S.?
Photos: These New Puritains von Sabrina Roels
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Mittwoch, 8. Januar 2014
Trou de mémoire?
Im Januar 1983 mochte ich von dem Bisschen was ich so mitbekam nur eine Neuerscheinung, die zweite LP von Lio, "Amour Toujours". Zumindest gefiel ich mir in der Pose als willfähriger Kunde des von Jay Alanski entworfenen Neo-Chanson Stils für Lio. Alles an der Platte erschien mir als Antithese, mal fröhlich, mal introvertiert. Wie gut das in die Zeit passte, bekam ich gar nicht so recht mit. Das Cover präsentierte eine verspielt stilisierte Ästhetik der 50er. Lio lächelt wie aus einem Jacques Tati oder vielleicht René Clément Film. Die Pappmaché Rose auf dem Photo duftete sogar, nachdem man an ihr gekratzt hatte. Ich konnte es in meiner naiven Idealisierung der (Musik-)Welt oder einfach aus ästhetischen Gründen kaum ertragen, daß diese Platte nicht auf einem Indie Label erschienen war. Ausgerechnet das von vielen 20 Superhits Sammlungen bekannte, trashig silberne Ariola Etikett prangte auf dem Vinyl. Ich versuchte mich an der Verbesserung meiner Teenie Welt und bastelte selber Etiketten, angelehnt an den Atatak Stil, so hoffte ich, da mich das Cover von "Amour Toujours" an Moritz Rrr's Grafik erinnerte. Natürlich missglückte das Vorhaben und ich stellte nur eines fertig, etwas schuldig fühle ich mich heute noch, wenn ich die Platte ab und an mal auspacke. An all das dachte ich, da ich eben zufällig erstmals ein Video der Platte sah. Und was zeigt es? - Lio vor einem HSV Wimpel, vermutlich in der "Kennen sie Köln?" Bar! Wie gerne wär' ich an den Drehtagen in Hamburg Statist gewesen, allein, sie hätten mich Bubi eh nicht gelassen.
http://www.dailymotion.com/video/x2coz9_lio-zip-a-doo-wah-1983_music
http://www.dailymotion.com/video/x2coz9_lio-zip-a-doo-wah-1983_music
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