Dienstag, 27. Januar 2015

Nach der Zeit - Musikliste 2014

Es war dann auf einmal keine passende Zeit, sich mit Musik zu beschäftigen, ist es vielleicht immer noch nicht. Aber das war es nicht allein, wollte über das Jahr noch ein paar Worte verlieren und suchte nach den Richtigen. Ich würde immer noch suchen, aber es muss ja auch mal gut sein.

LP's

1. FKA twigs - LP1

2. Mr. Twin Sister - Mr. Twin Sister

3. David Crosby - Croz

4. Fear of Men - Loom

5. Sean Nicholas Savage - Bermuda waterfall

6. D’Angelo and the Vanguard - Black Messiah

7. Lydia Ainsworth - Right From Real

8. Paco Sala - Put your hands on me

9. Warpaint - Warpaint

10. Serge Fiori - Serge Fiori

11. Valis - The demolished man

12. Arca - Xen

13. Zara McFarlane - If you knew her

14. Felizol & The Boy - Like Cannibal Father Like Cannibal Son


Ausser Konkurrenz: These New Puritans - Expanded - Live at the Barbican


Singles und EP's

1. Future Brown - Wanna party

2. New Jackson - Of a thousand leaves

3. Oceaán - The Grip EP

4. Evy Jane - Closer EP

5. Clarian featuring Jess Cardinal - Mirror of The Sun

6. Dum Dum Girls - Rimbaud Eyes

7. September Girls - Veneer EP

8. New Jackson - Having a Coke with you

9. Powell - Club music

10. Viet Cong - Cassette EP

11. Golden Teacher - Party People

12. Crooked Man - Undigitize EP

13. Shield Patterns ‎– Dust Hung Heavy

14. Shift Work - Scaled to fit EP





 










 Just get so high and stop your doubting

„Vinyl Sales Hit Record High in 2014“ titelte die Times zu Beginn des Jahres. Klar, vielleicht nur ein modischer Trend, doch gibt es zumindest zwei gute Gründe, mehr zu vermuten. Zum einen ist der finanzielle Aufwand einer Schallplatte guten Klang zu entlocken weit geringer, denn bei einer CD, deren Datenreihen während der Rückverwandlung in analoge Gestalt vom nervigen Zerren digitaler Taktfehler aus dem Fluss gebracht werden. Jedoch, wen interessiert’s, wer setzt sich heute noch ins Stereo-Dreieck? Diese Ära endete in der Popkultur circa zu jener Zeit, als sich Electro Voice aus dem Consumer-Bereich zurückzogen und Flokati-Hörräume mit Bodensitzgelegenheit von den Hifi-Messen verschwanden. Doch da wäre noch Grund zwei: der Fetisch, die versuchte haptische und optische Entsprechung der Klänge.

Schlichtes weisses Standard-Lochcover, schwarze, gefütterte Innenhülle, auf dem weissen Label in grobem Courier nur das Wort „Twigs“. Die perfekte Anlage des Jahres 2012,  bei aktuellem Kurs könnte sie mit jährlichen Zinssatz von 300%. aufwarten. Natürlich nur fiktiv, keine Ausschüttung, wird eh behalten, Fetisch-Objekt? -Vielleicht.
Sich im Angesicht der Frage, wer oder wie man so sei, selbst als Objekt zu betrachten, war bislang FKA twigs maßgebliches Experiment. Mehr ein suchender, als denn rein ästhetischer oder spekulativer Ansatz, daher auch interessant. Und neu, denn lediglich spielerisch traf im Cyber-R&B der späten 90er ein wachsender Strom digitaler Daten auf Bilder des Körpers, schuf cellophanartige Transformer aus gepixeltem Wunderzeugs oder aus Matchbox-Blech. Doch seine, mitunter rustikal gemorphten, Stimmen sangen Statements und in ihnen war wenig Raum für Fragen, jenseits von Aaliyahs: „Are you responsible?“. Wohin sie uns auf der Suche nach der Antwort noch geführt hätte, werden wir leider nie wissen, aber als Aaliyah „Rock the boat“ einspielte, war bei ihr die Idee einer futuristischen Musik längst dem Spiel mit weit klassizistischeren Yacht-R&B gewichen, immerhin: es klang wundervoll.

Nein, ganz neu ist es dennoch nicht. Eigentlich singt FKA twigs aus einer Welt, die Pop erstmals mit Essra Mohawk in der Melancholie von „Primordial Lovers“ betrat, als übernächtigte Hippie-Grazie, grübelnd, welche Form sie wohl annähme, wenn sie sich als Objekt einer Sehnsucht, eines Verlusts oder einer Erfüllung vorstellt. Welche Beziehungen und Abhängigkeiten entstehen?
Vielleicht gibt es eine noch ältere Quelle mit „I only have eyes for you“ in der Version der Penguins. Ihre psychedelische Vision des Verliebtseins als sensuelle Entgrenzung fand aber im erdigen R&B kein wirkliches Echo. Soul widmete sich Jahre später auf seine Weise dem Thema, existenzialistischer, als organisches Blühen oder selbstgewisses Leiden. Dagegen hier nun das Artifizielle: der Kopf der Künstlerin als Töpferarbeit vor monochromen, aus dem „Water me“-Video vertrauten Blau. Nicht ganz makellos aufgrund der handgefertigen Oberfläche oder ist es doch nur die verletzliche Haut, rot eingefärbt, Make-Up und Brandfarbe der Keramik, alles gleichsam Wundmale?
Dem Album liegen vier Kunstdrucke bei, in denen Jesse Kanda Twigs’ Antlitz manipuliert, als sei er der grausam begeisterte Nachbarsjunge Sid aus Toy Story. Die Drucke scheinen wie kolorierte Analogien auf Twigs gemorphte Stimme im Sound der Produzenten. Kandas Antwort auf Aalyahs obige Frage wäre wohl: „No, potentionally not responsible.“ Aber das muss so sein. In diesem nicht befriedeten Miteinander findet FKA twigs ihren Ort, ob nun als reiner Klang oder verletzlicher Mensch und zelebriert zwischen diesen Polen ihre Transformationen in unbekanntes Terrain.
Identitätslos, als düstere Männerphantasie, exploriert Twigs’ Produzent Arca auf seiner ersten Solo LP die Verwandlung als Mutation, hier passen Kandas Bilder noch besser. Arca spielt mit dem Vorgefundenen, ohne sich dabei in eine Relation setzen zu müssen - der schreckliche Nerd vor dem Laptop? 


Dies bedeutete 2014, den R&B nach über 70 Jahren 
aus seiner Rolle als Funktionsmusik zu befreien.
 
Demhingegen war die weibliche Stimme im R&B stets prekär. Sie proklamierte einst eine Unabhängigkeit von der Kirche, von der entrückten Gospelstimme und ihrer energetischen Version des Belcanto. Jenseits althergebrachter Regeln eroberten La Vern Baker oder Ruth Brown groovig dröhnend, kieksend und fauchend eine Freiheit, die vielleicht weniger wagte, als manche Blues Sängerin der 20er. Allerdings war aus der im Leben stehenden Erwachsenen, ein aufmüpfiges Teen- oder Twen-Girl mit Aussicht auf Star-Ruhm geworden. Diese eroberten Möglichkeiten weiterzuspinnen und just den vor einigen Zeilen weiter oben abgewickelten Faden der Penguins wieder aufzunehmen, hieß anno 2014, den R&B nach über 70 Jahren aus seiner Rolle als Funktionsmusik zu befreien. Es war seit dem BeBop stets Vorrecht des Jazz, später dann des progressiven Rocks und vereinzelt des Souls, nicht zum Tanze aufzuspielen. Nun fordert R&B das reine Zuhören. Ja, stillsitzen im Stereodreieck, den dreidimensionalen Sounds und der meist hoch emotionalisierten Stimme folgen, hören, was sie zu sagen hat. Wenn auch wahrscheinlich nicht aus den Hörnern und Tweetern alter Electro Voice Lautsprecherboliden.

Und dann lassen sich die abgedruckten Texte nicht entziffern? Das Scheitern am Schriftgrad hat Methode, es verführt zur Verwendung der beigelegten Lupe. Im virtuellen Spiel mit den gebündelten Lichtstrahlen fährt die fetischisierende Sammellinse irgendwann von den Worten zu den Details der Portraitphotos. Ohne mehr über die Substanz des Gesichts in Erfahrung bringen zu können, simuliert die Lupe dennoch weitere Verformungen und vollendet die Metarmophose des Zuhörers in einen verstohlen obsessiven Otaku-Charakter. Musik, Grafik und Fetisch als entlarvendes Kinderspiel, der übliche Sündenfall.
Am Rand der Lupe, im gewohntem Courier: „I love another, and thus I hate myself“. Twigs’ in „Preface“ choralgleich intonierte Absage an Descartes - und an Dich. Es sei, Du wärst der Andere. - Im Video von Lucki Eck$ „Ouch ouch“ ist der Andere jedoch eine kleine Schlange in Twigs Schlafzimmer. Nichts geschieht, ausser, daß die Justine des Bedroom Souls dem Anliegen des Otaku-Fetischisten nicht ganz entspricht, kein Apfel wird verspeisst. Der identifikatorische Charakter der Musik bleibt dem verdinglichenden Begehren verborgen. Beim Konzert waren dann Beide zugegen, die Gaffer und jene, welche die Texte Wort für Wort mitsangen.


Demgegenüber der Diskurs, 
der Identifikation nicht schafft, 
sondern dekonstruiert.
 
Mit Twigs bleibt Pop eine Kommunikation, die Verwirrung stiftet. Wer sind die Hörer, wer kauft da Platten? Reden wir miteinander? Und was machen wir aus dem Anderen, der Schlange wegen der wir uns verzehren und hassen? FKA twigs stellt ihre Fragen biographisch oder zumindest psychologisierend. Begehren und Identität werden verformt, geprüft, neu formuliert. Sie legt nah’, sich mit ihrer Suche zu identifizieren, sich drauf einzulassen, sich verwandeln - die alte Pop-Forderung und Verheissung.
Demgegenüber der Diskurs, der Identifikation nicht schafft, sondern dekonstruiert. Dean Blunt und Fatima Al Qadiri fanden sich in diesem Jahr an der Spitze einiger hochrangiger Listen. Ihre diskursive Verwertung angeignetem und weiterverarbeitetem Materials erzählt von einer Freiheit und einem Dagegen nach der Rock-geprägten Ara der Popmusik. Nicht als Strom aus Geräuschen, sondern sehr wohl als hochcodierter Song, aber jenseits des Appells, irgendwo unbedarft mitzumachen, entsteht als Appropriation sowie im Abarbeiten an 90er R&B, Grime und aktuellem HipHop, die Klang gewordene Fusion von Cultural Studies und High Art Ideen der Subversion. Was in den 90ern noch probte, vielleicht irritiert von nicht abzulegenden Rock-Posen oder der Freude am Track, hat sich nun manifestiert.

Faitma Al Qadiri ist auch Mitglied der Avant Streetwear Ikone Future Brown, deren „Wanna Party“ sich mittels Tinks Rap sogar eine schnoddrige Aggression leistet. Future Brown und andere halb virtuell agierende Bandprojekte sind die Zukunft. Politischer als ihre Vorgänger, fast wie eine Rekapitulation des Ansinnens von Heaven 17, aber fern deren Altherrengestus. Seltsam, wie D’Angelos Wiederkehr nach 15 Jahren eine alternative, aus der Zeit gefallene Interpretation dieser Aktualität anbot, als Echo auf eine Welle ungesühnter, rassistischer Polizeigewalt gegen Schwarze. Dabei wirkt die umherschweifende Musik kaum drei Jahre jünger als die des Vorgängers „Voodoo“, sie findet jedoch in den Texten eine neue Dringlichkeit.
Die Verwandlungen des Politischen, sowie das Verhandeln diverser Konzepte der Identität erstrahlen im Pop so hell wie seit Langem nicht. Auch wenn sie nicht mal mehr den Eindruck erwecken, Welten zu bewegen, war es für Pop sicher kein „Scheissjahr“- Vielmehr relativiert sich die Idee des Fetisch, denn sie verkürzt zu dramatisch und übersieht, daß auch Pop-Kultur weiterhin ihr Werk als etwas Materielles versteht. Neu mag sein, daß es überhaupt wieder Werke gibt, statt der männlich überhöhten Pose davon, welche seit den 90ern die Popwelt prägte. Wie Warpaint, die Smoke Fairies oder selbst eine Artschool-Band wie Fear of Men in kleinen, nachvollziehbaren Schritten an ihrer musikalischen Entwicklung arbeiten, erschient auf einmal wieder spannend, gar nicht konzeptuell überfrachtet, sondern dem schlichten Wunsch geschuldet, die eigene Musik noch besser hinzubekommen, sie weiterzuführen. Manchmal glücken in solchen Entwicklungen große Sprünge. Zwei durch das Net kursierende frühe Aufnahmen von Twigs zeugen als richtungslose Stilsuche ex negativo davon. Doch statt einen Masterplan auszuhecken, gewinnt Pop wohl doch meist durch Zufälle und Arbeit, wenn auch nur selten in jener Vollendung von Mr. Twin Sister. Darin scheint die erzwungene Modifikation des Bandnamens als präzise inszenierter Schritt in einem ausgeklügelten Masterplan. Doch dieser, von Anbeginn nicht wirklich beizukommenden Band gelang es einfach nur, dreamigen Gitarren Pop in eine Vision der Clubidentität zu transformieren und damit ein enorm anziehendes, aber jenseits von Factory-Records und 4AD der 80er meist zum Scheitern verurteiltes Projekt auf die Füsse zu stellen. Und es ist keine Referenzsuppe. Stattdessen erläutert Sängerin Andrea Estella, in ihrem jedes „i“ kunstvoll akzentuierenden Stil, die Essenz dessen, was Pop am Ende zu bieten hat:
Blow my sorrows away,
Warm my cold heart,
I want to recognize you but I don’t know who you are,
Is this romantic dreaming?
Is this just an illusion?
Is this romantic dreaming?
A memory?
I’ve forgotten everything.


Just get so high but maybe don’t stop your doubting.

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