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Wenn man noch mal fünf Jahre weiter zurück geht, findet man in den Charts des Jahres 1964 Stücke, die heute immer noch begeistern, als cool gelten, auf Partys Menschen tanzen lassen oder dem Hörer ein Identifikationspotenzial bieten, welches nichts mit sentimentaler Verklärung, sondern Gefühlen im Hier und Jetzt zu tun hat. Nur deswegen können Amy Winehouse oder Duffy aktuell funktionieren.
1964: She Loves You - Beatles (USA), Can’t Buy Me Love - Beatles (USA), A Hard Day’s Night - Beatles, My Guy - Mary Wells, Where Did Our Love Go - Supremes, Baby Love - Supremes, Come See About Me - Supremes, Talking About My Baby - Impressions, Baby Don’t You Do It - Marvin Gaye, The Way You Do The Things You Do - Temptations, Live Wire - Martha & Vandellas, Dancing In The Streets - Martha & Vandellas, Anyone Who Had a Heart - Dionne Warwick, You Really Got Me - Kinks und She’s Not There - Zombies.
Nimmt man selbst solche Stücke dazu, die heute ein wenig veraltet klingen: You’ve Lost That Lovin’ Feelin’ - Righteous Brothers, I Feel Fine - Beatles, Any Way You Want It - Dave Clark Five, Glad All Over - Dave Clark Five, Needles and Pins - Searchers, Dance, Dance, Dance - Beach Boys, Pretty Woman - Roy Orbison oder Cousin Of Mine - Sam Cooke,
ja gar solche, die zu ihrer Zeit etwas veraltet schienen oder eine just vergangene Epoche markierten: Do Wah Diddy Diddy - Manfred Mann, Promised Land - Chuck Berry, Louie Louie - Kingsmen oder Viva Las Vegas - Elvis Presley,
so entsteht eine ellenlange, irre beeindruckende Liste großartiger Evergreens. Und das war und ist keinesfalls immer so. Vielmehr erstaunt diese Haltbarkeit der Musik, ihre Jahrzehnte überdauernde Modernität, vergleicht man sie mit einer Liste von Songs, die 1964 genau 45 Jahre alt waren. Man kann sich kaum vorstellen, daß damals junge Menschen auf einer hippen Party (ja nicht mal in einer Art von Retro-Gestus) besonders viel mit schönen Titeln wie "I Wish I Could Shimmy Like My Sister Kate", "Oh By Jingo!" oder "I'm Forever Blowing Bubbles" anfangen konnten. Sie waren alt, uralt, Relikte der Zeit des Grammophons und des Broadway Entertainments.
Was lies sie altern? Sicher ihr augenzwinkernder Ton, der sie schon im Titel von den dramatischen Themen der Stücke anno 1964 abhebt. Die Musik überhöhte diese Dramatik noch, in Gesten harmonischer, rhythmischer und dissonanter Befreiung. Es ist das letzte Jahr bevor die Intellektuellen kommen und die Kraft dieser Musik in etwas ummünzen, das glaubt die Welt aus den Fugen heben zu können. Aber wann zuvor hatte Musik diese Möglichkeiten in sich getragen?
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- So wie der "Royal Garden Blues" aus dem Jahr 1919, welcher als eins der ersten Riff-geprägten Stücke des Dixieland Jazz unter Kennern und Liebhabern auch heute noch gespielt wird? Oder immer noch mit einer Direktheit des Empfindens? Vielleicht irgendwo dazwischen. Sicher aber sind diese Stücke des Jahres 1964 aus einer andern Substanz als das "Pokerface" anno 2009. Ihm bleibt nur die Variation, der Variation einer Variation am Ende einer Geschichte die, wenn nicht 1954, so tatsächlich vor 45 Jahren begonnen hatte.