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Sonntag, 3. Januar 2016

Die Stille dieser Straßen - Musikliste 2015




Nichts ist, wenn die Zeit anhält. 
Die Grausamkeit, so liesse sich einwenden, liegt darin, daß die Welt sich einfach weiter dreht. Oder ist es andersherum? Die Grausamkeit ist die Veränderung? Fast spielerisch konnte man seine „will never die“ Popgewissheiten in den vergangenen Jahrzehnten verschwinden sehen. Oder man konnte auch einfach weitermachen, Pop stellt sich nicht in den Weg. Lustigerweise wäre somit im „Einfach Weitermachen“ der Wandel schon manifestiert. Weitere Bands werden zu ihrem 20sten gratuliert und scheinen nicht ansatzsweise so fern, wie Elvis 1975. Die recht sanften, aber wenigstens spürbaren Wellen der letzten Jahren verflachten, so kam es mir vor. 

Die Grimes LP enttäuschte mich enorm bei ihrem Versuch, eine vakante Madonna Stelle per Initiativbewerbung besetzen zu wollen. Julia Holter strandete in ihren tollen Stücken über Ertrinkende an den Gestaden Burbanks, ganz allein, niemand, der ihr die Hand reichte, sie mitnahm, auf die Wine Street etwa. Die weltoffizielle Platte des Jahres von Kendrick Lamar erschien mir als opulentes Hörbuch mit einer durchaus beeindruckenden Soundkulisse, vielleicht wirklich etwas Neues, nach dem Songformat. Oder doch auch die Untiefen eines Konzept-Doppelalbums? In den Momenten, die ich es am meisten mochte, dachte ich an D’Angelo und sein wunderbares, in den letzten Tagen des (nun vor-)letzten Jahres eher unterschätztes Werk. Wäre nicht Kamasi Washington dann ganz in der Nähe? Washingtons Werk überschreitet für mich ganz bewusst eine Grenze zum Gestern, einem fiktiven, ja idealisierten Gestern, eigentlich eine Science Fiction Parallelwelt, aber zugleich komplett Retro: Sun Ra und Coltrane im Geist Isaac Hayes - ach, hätte es das doch gegeben. Ich mag allerdings mittlerweile die offenen Enden der Pop-Geschichten, die Enttäuschung des Unerfüllten und verlor doch auch mal den Glauben an Retro, was mir nach einer von Revivals mitgeprägten Jugend, auch gestattet sei, so hoffe ich. 

Komisch, 2014 war in den Erwartungen enorm präsent, aber auch mit seiner Musik. Vielleicht war die Mr. Twin Sister LP doch der ganz große Wurf, frage ich mich heute, ein Jahrzehntwerk gar? Die offensichtlich Freiräume erarbeitende FKA twigs LP überstrahlte das möglicherweise langfristiger wirksame Album. Ein wenig um eine Wiederholung dieses Effekts zu vermeiden, habe ich die Kategorien geändert. Aber auch, weil es so wenige Alben gab, die mich begeisterten, aber auffällig viele Mini LP’s / EP’s. Vielleicht ist „M3LL155X“ FKA twigs bisher größte Leistung und  wird doch im klassischen Formatdenken übersehen. So übersehen wie diese stille, mit Klischees brechende LP von The Internet. Ein sehr zartes Drängen in die Zukunft, denke ich heute, vielleicht erkenne ich im kommenden Jahr dann den Quantensprung. Wäre schön, wenn es  diese Freiheit gäbe und diesen Lichtblick im nun vergangenen Jahr.

Weitere Lichtblicke waren für mich vor allem in Randbereichen des R&B: die Trancezustände in der Vergangenheitsbewältigung bei Ibeyi, der unfassbar starke Auftakt von Miguels R&B + Rock Fusion (und auf Albumlänge dann leider der enttäuschende Rest), die Singer-Songwriter Lässigkeit von Lianne La Havas und Zukunftsvisionen von Kelela und Nao, sowie Boz Scaggs Erinnerungen, die mich in einigen Momenten kritisch daran erinnerten, was eine Stimme und ein Song vermögen. Die anderen Sachen, die mir zusagten, blickten meist durch Kajalaugen auf diese Welt.

Bliebe Charles Aznavour, vielleicht werde ich die enorme Kraft seines Albums in kommenden Jahren verstehen, sein Schritt, neues zu wagen, selber zu arrangieren und seine aktuellen Konzerte fast nur mit dem neuen Material zu bestreiten, macht so viel Mut, wie seine Radiosingle mich traurig stimmte, eine Traurigkeit, die mir nicht zusteht, aber die er einem schenkt, um zu sagen, daß es sich auch deswegen lohnt, dieses Leben zu lieben. Hinein in eine Welt, in der diese Liebe offenbar schwindet.

Bleibt das Staunen in der kleinen Kammer namens Pop.
























LP

. The Internet - Ego Death

.. Boz Scaggs - A fool to care

... Helen - The original faces

.... Lianne La Havas - Blood

..... Sexwitch - Sexwitch

...... Init - Two pole resonance


Mini LP / EP

. FKA twigs - M3LL155X

.. Lower - I’m a lazy son… But I am the only son

... Kelela - Hallucinogen

.... Nao - II - MMXV

..... Tropic of Cancer - Stop Suffering





















Single

. Charles Aznavour - Avec un brin de Nostalgie

.. Ibeyi - River

... Mr. Twin Sister  - The erotic book

.... Jessy Lanza, DJ Spinn & Taso - You never show your love

..... I.F.O.: "Nibiru" [featuring Afrika Bambaataa]


Songs

. Miguel - A beautiful exit

.. Miguel - DEAL

... Miguel - The valley

.... Schonwald - Lux

..... Beach House - Space Song

...... Jam City - Unhappy





Freitag, 13. Februar 2015

Steve Strange 1959 - 2015

 

 

 

 

 

 

Danke für die Nachtclubschull!

Als ich 1980, an der Schwelle zur Jugend, Visages "Fade to grey" erstmals hörte, dachte ich, mit dem neuen Jahrzehnt habe wirklich eine neue Zeit begonnen. Plötzlich gab es eine Alternative zu den Ökos in ihren Parkas und den Metal Hörern. Ich weiss nicht mehr, ob damals das unfassbare Video zu Fade to Grey in "Disco" oder irgendwo anders gezeigt wurde, sollte ich es gesehen haben, wäre mir einiges klar - und wahrscheinlich habe ich es dann so verdrängt, wie 1978 "Das Model" gehört zu haben, weil es einfach wirklich zu früh für seine Zeit war. Dabei hat man Steve Strange oft vorgeworfen, wenig mehr, als eine bowieske Kraftwerk Kopie abgeliefert zu haben. Selbst der eigenen Band schien ihr Projekt Visage teilweise im Nachhinein peinlich. Letztlich illustrierten die Vorwürfe an ihn aber nur den ewigen Rockismus, der auch in Namen von Punk weitergeführt wurde. Daß es etwas tolleres gibt, als sich biertrinkend rumzuschubsen, daß wusste Strange nur zu gut und er öffnete wortwörtlich dafür den Raum. Hatte letztens die Ehre mit einem "Blitz Club" Veteranen zu reden, über den Glamour, den enormen, selbstdestruktiven Hedonismus und diese gar nicht unterschwellige Dunkelheit, die einerseits in Leigh Bowerys "Taboo" und andererseits in die Gothic Szene des "Bat Cave" mündeten. Es wurde auch angedeutet, daß es Strange nicht allzugut gehe... 

Hätte Steve Strange gerne mal kennengelernt. War vielleicht nicht der liebenswürdigste Zeitgenosse, aber ich hätte mich gerne bei ihm dafür bedankt, mich vor einer langweiligen Jugend bewahrt zu haben!

"Die Schlag auf den Amboss in der Nachtclubschull" 
https://www.youtube.com/watch?v=ZL4MBqxjYFE

Freitag, 16. Januar 2015

Ein paar Gedanken zu Kim Fowley (1939 - 2015)

Die kleinen Geschichten zu Spät Gekommener aus der Ferne über jene, die zur rechten Zeit am rechten Ort waren

Als ich gestern Nacht von Kim Fowleys Tod las, postete ich nach kurzer Suche das erste Stück, was ich je von ihm hörte auf mein Facebook-Profil: "The face on the factory floor". Einer Spex-Rezension folgend hatte ich blind "Bad news from the Underworld" im Plattenladen geordert. "Ah, auf Lolita, so ein 60s Label" meinten sie noch beim Heartbeat - und dann das Cover, der scharfkantig verknitterte Typ mit eiskalt stechendem Blick in der roten Lederjacke, Cowboystiefel über die Arme gestreift, wirklich verstörend, im Gegenzug zu so mancher Post-Industrial Angstmacherei, die der wundervolle Laden im Programm hatte. Wie das klang, was so gar nicht zu passen schien, wollten sie dann doch wissen, nach der Hörprobe orderten sie ein Exemplar für's Regal ... P-p-p-p-polaroid p-p-p-p-people.

Vielleicht war das sein Rezept, sich einschleichen und sichtbar Platz nehmen. Einfach das, was er aus sich, als kränkelndes Kind, als schillernde Figur mit seinen Obsessionen und seinem Talent rausholen konnte: auf eine enorm ungelenke Weise sein noch weit enormeres Gespür für Trends zu zelebrieren. Eigentlich hatte ich ja längst von ihm gehört, er, der "King of the Night Time World " auf Kiss' "Destroyer" und als "Torpedo"-Sample auf der "Unmasked" - wusste ich nur nicht. Sehe mich heute noch eine gekoppelte Ausgabe von "Outrageous" und "Good clean fun" wieder ins Fach des Second Hand Ladens zurückstellen, bei Discogs gibt's die aber gar nicht, vielleicht nur ein Popbubi-Traum. "Visions of the Future" kam dafür mit, das mit Skip Battin zusammen geschriebene "ESP Reader" hab ich zig Leuten auf irgendwelche Cassetten-Compilations gepackt. Es steht dem Stück, daß es sich einer Web Präsenz entsagt. Es passt zum Text und sicher zu den tausend kleinen und mittelgroßen anhängenden Geheimnissen, die Fowley vielleicht nicht mal seinen besten Freunden verriet. Zur realen Erscheinung Fowleys passte es sicher nicht. War er überhaupt wirklich real? Einmal schien mir so, als er auf der noch locker zu enternden Popkomm mit Kurt Kreikenbom verabredet war. Da tauchte er in der Menge auf, markant, irre groß, irre dünn in einem blauen Anzug, wenn ich mich denn recht entsinne. Die Präsenz eines Marquis de Sade der bei jeder der in "Rock Dreams" skizzierten Rolling Stones Parties seine irre schmackhaften Käsekracker zum geheimem Top-Seller machte. Koks und Sünde umsonst, aber Kims Käsekracker für 12 faire Dollar, davon schwärmen sie heute noch - so stellte ich ihn mir vor und hatte ein wenig Angst. 

Die wahren Geschichten habenin meinem Bekanntenkreis viel eher Kurt oder Jan Lankisch (der 2012 Fowleys letztes Konzert in Köln orgnisierte) und jenseits davon zig andere zu erzählen. Ich mochte ihn aus der Ferne, wär auch nicht näher dran gekommen und wünschte, der Mythos hätte nicht irgendwann auch die Macht über sein enormes musikalisches Vermögen gewonnen. Das Monster lebt. Aber wenn dem wirklich so sein sollte, dann hat er es auch gewollt. Dafür führte er ein Leben in Unmöglichkeiten: die English Disco, also bitte, die kann sich doch nur ein Todd Haynes ausgedacht haben (vielleicht nach einem Besuch im King Georg) und jemand der auf der ersten Zappa auftaucht, dann dem leidenden Gene Vincent zur Seite stand, Minderjährigen zu was weiss ich und Popruhm verhielf, sowie den vier Modern Lovers Gene, Paul, Ace und Peter erzählte, wie der Hase läuft, wenn er denn nicht gerade hoppelt oder in dunklen Erdlöchern verschwindet, so einer kann eigentlich sowieso nur ein moderner Mythos des Popzeitalters sein, eine Idee, eine Maske. Es sei, es hätte ihm die große Vicky Leandros einmal die Hand aufgelegt, dann, ja dann würde ich ihn mir als einen Lachenden, Verzweifelten, Siegenden und Leidenden unter uns vorstellen. Aber das wäre ja alles zu irrwitzig, als daß es wirklich jemals hätte sein können.